Landeszeitung Lüneburg: Schrille Propaganda als Nährboden/Experte Alexander Häusler: Breivik sieht Terrorakt als vollstreckten antimuslimischen Kulturkampf
Lüneburg (ots)
Nach dem Blutbad von Norwegen diskutiert Europa, wie es mit dem Feind im Innern, dem rechten Terror, umgehen muss. Werden rechtspopulistische Bewegungen unterschätzt? Alexander Häusler, der an der FH Düsseldorf zu rechtsextremen und antimuslimischen Bewegungen forscht, sieht Gefahren: Breivik habe die Feindbilder mit den Rechtspopulisten geteilt.
Für seinen Anwalt ist die Sache einfach: Anders Breivik ist geisteskrank. Ist der Attentäter nur pathologisch zu erfassen oder werden seine kranken Ideen von vielen geteilt?
Alexander Häusler: Das Ausmaß des Terroraktes deutet sicherlich auf das Verschwimmen von politischen Motiven mit paranoiden Verschwörungsphantasien hin. Nichts desto trotz lässt sich der Nährboden, aus dem sich die Rechtfertigungen und Erlösungsphantasien des Täters entspringen, durchaus politisch deutlich rahmen. Sein Manifest stellt dabei eine Art Datenmontage aus dem virtuellen Selbstbedienungsladen der muslimfeindlichen Bloggerszene und deren politischen Anker in Form rechtspopulistischer Parteien dar. Breivik sieht sich als Vollstrecker des dort verbreiteten antimuslimischen Kulturkampfes.
Folgerichtig hätte Breivik gerne den Niederländer Geert Wilders getroffen. Der nennt den Attentäter jetzt einen "einsamen Idioten". Überzeugen die Absetzbewegungen der Anti-Islamisten?
Häusler: In der Tat distanzieren sich europaweit unisono sämtliche rechtspopulistischen Bewegungen von Breivik und seiner Tat. Auffällig ist hierbei die inhaltliche Übereinstimmung der typischen rechtspopulistischen Rechtfertigungen mit den Argumenten Breiviks: Er prognostiziert in seinem Manifest, dass er von "gesteuerten Medien" als Verrückter, Rassist und Nazi beschimpft werden wird, um damit von den eigentlichen Problemen des "Kulturmarxismus" und der "Islamisierung" abzulenken. Nahezu wortgleich finden wir diese Rechtfertigungsstrategie in rechtspopulistischer Propaganda wieder: Öffentliche Kritik an der antidemokratischen und rassistischen Hetze wird als Terror linker political correctness diskreditiert. Die Täter stilisieren sich selbst zu Opfern der Meinungsfreiheit durch den "inneren Feind": die multikulturell und transnational infiltrierte linke Politik und ihre Medien. Breivik hingegen wird von den Rechtspopulisten als Irrer und Krimineller abgestempelt, um die Tat von deren politischem Kontext abzukoppeln.
Auch die rechtspopulistische Bewegung "Pro Deutschland" distanzierte sich: Breivik sei weder konservativ noch christlich. Zumindest scheint der Massenmord nicht, wie von Breivik erhofft, als Fanal zu wirken...
Häusler: In Blogs der deutschen Neonazi-Szene sind vereinzelt Sympathien für das Massaker zu finden. Daraus lässt sich aber kein Trend ableiten. Für die rechtspopulistische Parteienlandschaft kann Breiviks Tat sogar fatal sein. Die Tatsache nämlich, dass jemand seine terroristische Wahnsinnstat mit Verschwörungskonstrukten rechtfertigt, die mit dem Mainstream der rechtspopulistischen und muslimfeindlichen Bloggerszene identisch sind, wirft natürlich die Frage nach den Folgewirkungen solch schriller Propaganda auf.
Die Ideenwelt des Attentäters wurzelt in Anti-Islam-Blogs. Er fabuliert von mehreren Terrorzellen. Glaubwürdig?
Häusler: Dazu kann man beim Stande der Ermittlungen seriös noch nichts sagen. Breiviks Selbsteinordnung als Teil einer paneuropäischen Widerstandsbewegung ist ebenso wenig zu belegen wie die behauptete Existenz weiterer Terrorzellen.
Welche Schnittmengen sehen Sie im Weltbild des Terroristen zu rechtspopulistischen Bewegungen bzw. Parteien wie Tea Party, SVP, FPÖ oder der English Defense League?
Häusler: Der Erfolg des antimuslimischen Rechtspopulismus speist sich aus der kulturreligiösen Umdeutung traditionell rassistischer wie auch antisemitischer Feindbildstereotype: der Zerstörung angestammter Gemeinschaften durch eine multikulturell globalisierte Gesellschaft symbolisiert im Islam. Das äußere Feindbild Islam findet seine Entsprechung im "inneren Feind", dem linken Internationalismus und Multikulturalismus. Während die rechtspopulistischen Erfolge einhergehen mit einer proklamierten Abkehr vom Faschismus und einer taktischen Inanspruchnahme demokratischer Prinzipien, mischen sich in den virtuellen Kommunikationsnetzwerken rechtsorientierter muslimfeindlicher Bewegungen völkische Untergangsszenarien mit aggressiver Widerstandsrhetorik. Breiviks terroristische Tat und deren Rechtfertigung weisen auf die möglichen Konsequenzen solcher Feindbildkonstruktionen.
Breivik stilisiert sich als "Tempelritter", hofft auf den konservativen Katholizismus als Abwehrbollwerk gegen Multi-Kulti. Käut er nur die laufende Identitätsdebatte wieder, in der die ,,Ausländerfrage" zu einer "Kultur- und Religionsfrage" umformuliert wird?
Häusler: Dieser verquere Religionsbezug hat zwei Muster. Er speist sich in der Tat zum einen aus der kulturreligiösen Umdeutung des Rassismus in der rechtspopulistischen Parteienlandschaft. Da wird die klassische "Ausländer raus"-Parole ersetzt durch die Warnung vorm drohenden Untergang des christlichen Abendlandes. Zum zweiten verweist dieser Religionsbezug auf einen in diesen Kreisen gepflegten Widerstandsmythos -- den von einem Jahrhunderte währenden Kampf zwischen Christen und Muslimen. Der terroristische Mord wird gerechtfertigt mit der Notwendigkeit von Widerstand gegen den Untergang des Abendlandes durch die "Islamisierung" und deren willfährigen linken Helfeshelfern. Die historischen Anleihen von Breiviks terroristischem Kulturkampf werden auf dem Deckblatt des Traktats symbolisch verklausuliert feilgeboten: Das Kreuz der Tempelritter und die Zahl 2083. Beides leitet sich her aus der prognostizierten Wiederkehr der Schlacht 1683 gegen die Türken in Wien. Breiviks starke Bezugsquelle dabei ist der antimuslimische Weblog "Gates of Vienna". Deren Protagonisten sehen sich explizit in einer solchen Tradition des Kulturkampfes.
Wird Islamfeindschaft zum gemeinsamen Nenner rechtsextremer Bewegungen?
Häusler: Nicht in Gänze. Die extreme Rechte ist gespalten. Parteien wie etwa die NPD stehen in faschistischer Tradition und vertreten einen klassischen Rassismus, inklusive eines althergebrachten Antisemitismus. Daneben gibt es die modernisierte rechtspopulistische Variante, die auch bemüht ist, propagandistisch Abstand vom Nationalsozialismus zu nehmen. Ihr eigener Rassismus wird unter einem kulturreligiösen Deckmantel versteckt. Das Verhältnis zur Demokratie ist taktischer Natur: Sie wird genutzt, um rassistische Ideen wieder hoffähig zu machen. Deshalb muss die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Inhalten und der Propaganda der Rechtspopulisten stärker geführt werden als bisher.
Muss in dieser inhaltlichen Auseinandersetzung auch der Trend beleuchtet werden, dass in Europas Krise Identitätsstiftung auch in den Eliten eher über Abgrenzung läuft?
Häusler: Die klassischen beiden Feindbilder von Rechtspopulisten sind der Islam und die EU, die für die kulturelle Zersetzung der Nationalstaaten verantwortlich gemacht werden. Solch Propaganda findet Widerhall, weil sie simplifizierte Antworten auf komplexe Problemlagen anbietet: soziale und ökonomische Schieflagen in Europa, mangelhafte demokratische Legitimation supranationaler Entscheidungen, mangelnde politische Integrationspotenziale, fehlende lebensweltliche Identifikationsangebote mit Europa etc. Demokratie und Solidarität müssen im europäischen Kontext alltagstauglich wahrnehmbar werden, um die Ressentiments der Rechtspopulisten entschärfen zu können.
Von Muslimen wird nach islamistischen Anschlägen erwartet, dass sie sich vom Terror distanzieren. Sollte man dies auch von Islam-Hassern erwarten?
Häusler: Eine Sollbruchstelle für die Demokratie stellt nun deutlich die Ablehnung dieser kulturrassistischen Feindbildproduktionen dar, welche im Kern auf unsere multikulturell verfasste Einwanderungsgesellschaft zielen. Doch geschlossene Weltbilder, die auf derartigen Feindbildprojektionen basieren, können nur entweder komplett aufgegeben werden oder werden mit weiteren Rechtfertigungsmodellen ausgebaut. Letzteres können wir bereits in der anti-islamischen Bloggerszene und am rechten Parteienrand beobachten. Dort heißt es, mit dem Attentäter haben wir nichts zu tun, aber die überzogene Kritik an uns zeigt doch, wie sehr unsere ungehörte Warnung vor einem drohenden Untergang Europas durch eine Islamisierung gerechtfertigt ist -- eine Argumentation einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Das Interview führte
Joachim Zießler
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