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Neue Westfälische (Bielefeld)

Neue Westfälische: "Die Bundesregierung verhält sich kurzsichtig" INTERVIEW: einhard Bütikofer plädiert im Europa-Wahlkampf für ein "aufgeklärtes deutsches Eigeninteresse"

Bielefeld (ots)

Reinhard Bütikofer, der sechs Jahre lang
Parteichef der Grünen war, wirbt nun bei der Europawahl als 
Spitzenkandidat für grüne Ideen. Bei Angela Merkel vermisse er das 
europäische Herz, sagt er im Gespräch mit Alexandra Jacobson.
Herr Bütikofer, soll der Staat der Karstadt-Mutter Arcandor 
helfen? Die EU-Kommission ist dagegen.
REINHARD BÜTIKOFER: Bei Arcandor sagt einem doch der gesunde 
Menschenverstand, dass es sehr merkwürdig ist, dass die superreichen 
Besitzer beim Staat die Hand aufhalten, anstatt zunächst einmal 
selbst in die Verantwortung zu gehen.
Die SPD will retten und warnt vor dem Wegfall zigtausender 
Frauenarbeitsplätze.
BÜTIKOFER: Es geht doch gar nicht darum, Arcandor ins Aus zu treiben.
Doch hier ist die Verantwortung der Besitzer gefragt. Auch muss das 
Übernahmeangebot der Metro ernsthaft geprüft werden. Es ist zu 
einfach, nur den Steuerzahler zu belasten.
Die Europäische Union hat in der Wirtschafts- und Finanzkrise eine
zögerliche Rolle gespielt. Warum?
BÜTIKOFER: Die EU-Kommission hat lendenlahm auf die Krise reagiert. 
Kommissionspräsident Barroso hat sich damit begnügt, die 
Konjunkturprogramme der einzelnen Staaten zusammenzuzählen. Dann hat 
er fünf Milliarden Euro als Sahnehäubchen oben draufgelegt und 
gesagt: "Das ist ein europäisches Programm." Das reicht aber nicht. 
Es hat sich gezeigt, dass Barroso der falsche Mann am falschen Platz 
ist.
Wie beurteilen Sie die Rolle Deutschlands?
BÜTIKOFER: Wenn Helmut Kohl bei der Einführung des Euro so wenig 
europäisch gedacht hätte wie heutzutage Bundeskanzlerin Angela Merkel
oder Finanzminister Peer Steinbrück, hätten wir den Euro bis heute 
noch nicht. Kohl hatte ein europäisches Herz, was ich bei Frau Merkel
nicht entdecken kann. Jeder stärkeren Zusammenarbeit auf EU-Ebene hat
diese Bundesregierung im Weg gestanden. Selbst der Nothilfefonds für 
schwächere Länder in Europa ist nur gegen den Widerstand Deutschlands
durchgesetzt worden.
Wir Deutsche wollen nicht mehr der Zahlmeister Europas sein, heißt
es. Das Argument ist in der Bevölkerung populär.
BÜTIKOFER: Deutschland ist einer der größten Profiteure Europas. 
Durch den gemeinsamen Binnenmarkt und den gemeinsamen Euro ist der 
deutsche Export massiv gefördert worden. Wenn wir zulassen, dass die 
schwächeren Länder Osteuropas in der Krise allein gelassen werden, 
schadet es auch uns. Denn wie will man in die osteuropäischen Staaten
exportieren, wenn diese nicht auf die Füße kommen? Es geht hier auch 
um ein aufgeklärtes Eigeninteresse Deutschlands. Außerdem war die 
Integration der osteuropäischen Staaten in die EU nach dem Ende des 
Kalten Krieges auch aus sicherheitspolitischen Aspekten enorm 
wichtig. Sonst hätte es im Osten eine gefährliche Zone der 
Unsicherheit gegeben. Die Bundesregierung verhält sich kurzsichtig, 
wenn sie immer nur zusammenzählt, was Deutschland auf den Tisch legt.
Sie sind von Europa begeistert: Aber warum überträgt sich dieser 
Funke nicht aufs Wahlvolk? Vielleicht gehen am Sonntag sogar weniger 
als 40 Prozent der Deutschen zur Wahl.
BÜTIKOFER: Wenn die Linkspartei einen Europawahlkampf gegen Europa 
führt oder wenn die CSU suggeriert, es gehe beim Europawahlkampf 
darum, uns die Türken vom Leib zu halten, und die FDP als größtes 
Problem entdeckt, die energieverschwendende Glühbirne unter 
Naturschutz zu stellen, muss man sich nicht wundern, wenn sich die 
Leute kopfschüttelnd abwenden. Wie man in den Wald hineinruft, 
schallt es auch heraus.
Bei den Umfragen zur Europawahl stehen die Grünen an dritter 
Stelle. Wenn es so kommen sollte, hat das irgendeine Bedeutung für 
die Bundestagswahl?
BÜTIKOFER: Wir wollen einen neuen grünen Deal für Europa, der die 
Finanz- und Klimakrise mit einem ökologischen und sozialen Umbau der 
Industriegesellschaft beantwortet. Wenn wir am Sonntag gut 
abschneiden, wird es unsere Motivation auch für den 
Bundestagswahlkampf erhöhen.

Pressekontakt:

Neue Westfälische
Jörg Rinne
Telefon: 0521 555 276
joerg.rinne@neue-westfaelische.de

Original-Content von: Neue Westfälische (Bielefeld), übermittelt durch news aktuell

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