Neue Westfälische: KOMMENTAR Wahlrechtsreform Armutszeugnis ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN
Bielefeld (ots)
Das Verfassungsgericht hat das deutsche Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil stammt vom Juli 2008. Die Große Koalition hätte also genügend Zeit gehabt, um bis zur Bundestagswahl im September 2009 das Wahlrecht verfassungskonform zu reformieren. Für den Parlamentarismus ist es ein Armutszeugnis, dass die Bundestagswahl im Herbst noch einmal nach schlechten und ungerechten Regeln über die Bühne gehen soll. Dass es schon immer so war, ist kein Grund. Dass das jetzige, ungeheuer komplizierte Wahlrecht die Existenz von Überhangmandaten zulässt, ist ein Ärgernis. Denn diese verfälschen das Zweitstimmenergebnis, mit dem sich die Wähler für eine Partei entscheiden können. Überhangmandate kommen den großen Parteien zugute. Deshalb haben in der Vergangenheit weder Union noch SPD große Lust gehabt, an diesem Zustand etwas zu ändern. Dass der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts bisher ignoriert wurde, liegt aktuell aber eher an CDU und CSU. Berechnungen gehen davon aus, dass Überhangmandate Schwarz-Gelb den Sieg sichern könnten. Das wäre zwar ein schaler Triumph, aber diese Perspektive lähmt bei Union und FDP jeden Willen zur Wahlrechtsreform. Dabei steht am Freitag ein Gesetzentwurf der Grünen im Bundestag zur Abstimmung, der die gröbsten Ungerechtigkeiten des Wahlrechts mit einem Schlag beseitigen würde. Die SPD würde gerne zustimmen, darf aber nicht, weil das der Koalitionsvertrag verbietet. CDU und CSU haben bis Freitag Zeit zum Umdenken. Dass man diese Frage nicht nur parteitaktisch angehen muss, haben einige Christdemokraten eindrucksvoll bewiesen, die sich vehement für eine Reform vor dem 27. September ausgesprochen haben.Und das waren wahrlich keine Hinterbänkler, sondern solche Schwergewichte wie Wolfgang Schäuble und Norbert Lammert.
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