Mehr Bürokratie, weniger Markterlöse, keine politische Perspektive / Sonnleitner: Falsche Signale zum falschen Zeitpunkt
Berlin (ots)
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Gerd Sonnleitner, kritisierte am Mittwoch, dem 22. Januar 2003, massiv die Vorschläge von Agrarkommissar Franz Fischler zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Fischler missachte damit das Mandat des EU-Rates vom Oktober letzten Jahres und die eindeutigen Vorgaben der in Berlin 1999 beschlossenen Agenda 2000. Ohne Not werde die Position der deutschen und europäischen Bauern im Markt geschwächt und das agrarpolitische Verhandlungsmandat der EU für die laufende WTO-Runde untergraben.
Jetzt, so Sonnleitner, komme es darauf an, politische Mehrheiten für eine verlässliche Agrarpolitik in Brüssel zu finden, die
- den erstmals mehrjährigen Rahmen für die Struktur- Finanz- und Agrarpolitik in Europa der Agenda 2000 sichere,
- bei den Marktordnungen die Produktionsbeschränkungen der europäischen Landwirtschaft aktiv in die WTO-Verhandlungen einbringe (Sicherung der Blue-box),
- den engen Finanzrahmen der EU-Agrarpolitik zur Absicherung der nachhaltig wirtschaftenden Bauern in Deutschland und Europa nutze,
- die zweite Säule der Agrarpolitik rückverlagere in die Mitgliedstaaten.
Besonders kritisch wird von den deutschen Bauern der extreme Bürokratiezuwachs beurteilt, der durch die Vorschläge zum Cross Compliance, zur Modulation und zur Entkopplung entstehen werde. Es sei nicht hinnehmbar, dass sinkende Markterlöse mit einer wachsenden Papier- und Kontrollflut "kompensiert" würden. Auch sei es nicht akzeptabel, dass Erfolg versprechende Ansätze im Anbau nachwachsender Rohstoffe und erneuerbarer Energie über Biomasse jetzt faktisch über den Haufen geworfen würden. Präsident Sonnleitner forderte die Bundesregierung, den Bundestag und das EU-Parlament auf, die EU-Vorschläge mit der gebotenen Deutlichkeit zurückzuweisen und auf eine für Verbraucher, Landwirte, Natur und Umwelt verlässliche Agrarpolitik zu drängen.
Zu den Einzelvorschlägen der EU-Kommission ist eine erste Bewertung des Deutschen Bauernverbandes beigefügt.
Erste Bewertung der Kommissionsvorschläge zur Reform der EU-Agrarpolitik vom 22.1.2003
1. Der Deutsche Bauernverband fordert, dass die Agenda 2000 und die eindeutigen Festlegungen des Brüsseler EU-Gipfels vom 24./25. Oktober 2002 politisch verlässlich eingehalten werden. Das heißt, Korrekturen über die bestehende Agenda 2000 hinaus kann und darf es grundsätzlich nicht vor Ablauf des Jahres 2006 geben. Der von der EU-Kommission geplante Systemwechsel zu einem weitgehend entkoppelten Betriebsausgleich bei den Direktzahlungen zum 1.1.2004 wird deshalb strikt abgelehnt. Auch die vorgeschlagenen Änderungen bei den Marktordnungen im Ackerbau und bei Milch gehen weit über den Agenda 2000-Rahmen hinaus und werden ebenso entschieden zurückgewiesen.
Am Grundsatz der Planbarkeit und Verlässlichkeit der Agenda 2000 muss festgehalten werden, auch im Sinne der Fairness gegenüber den Beitrittsländern. Der DBV ist jedoch bereit, sich an einer frühzeitigen Diskussion über eine Fortentwicklung der EU-Agrarpolitik nach 2006 offensiv zu beteiligen.
2. In Deutschland wird aktuell eine intensive Debatte darüber geführt, die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen durch eine wirksame Entbürokratisierung zu verbessern. Die Vorschläge der EU-Kommission zur "entkoppelten Betriebsbeihilfe", zum "Cross Compliance" und zum Ausbau des "integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems" laufen auf eine bisher nicht gekannte bürokratische Belastung der Landwirte, aber auch der Behörden von Bund und Ländern hinaus. Allein bei Cross Compliance soll die Einhaltung von 38 EU-Verordnungen und Richtlinien mit entsprechender nationaler Umsetzung durch Bund und Länder ständig auf den Betrieben überwacht werden.
Solche entkoppelte Betriebsbeihilfen enden in behördlicher Zwangswirtschaft, vermutlich aber auch in einer gesellschaftspolitischen Ablehnung der Agrarpolitik. Dagegen setzt sich der DBV massiv zur Wehr.
3. Die Modulation - also die Kürzung der Direktzahlungen - soll entgegen den ursprünglichen Plänen der Kommission auf die Zeit nach 2006 verschoben werden. Die Kappung bei 300.000 Euro soll entfallen. Die eingekürzten Gelder sollen nur noch zum Teil für den Ausbau der "zweiten Säule" zur Verfügung stehen.
Der Deutsche Bauernverband sieht hier eine Bewegung der Kommission in die richtige Richtung, bleibt aber bei seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber der Modulation. Sie ist kein geeigneter Ansatz zu einer inhaltlichen Weiterentwicklung der EU-Agrarpolitik. Die geplante Modulation von bis zu 20 Prozent bedeutet für die Landwirte einen massiven zusätzlichen Einkommensdruck. Die Förderung des ländlichen Raumes ("zweite Säule" der EU-Agrarpolitik) ist damit aus Sicht des DBV zu teuer erkauft.
4. Die vorgeschlagenen Eingriffe in die Marktordnungen - vor allem die zusätzlichen Preissenkungen bei Milch und Getreide - sind marktpolitisch nicht erforderlich, sie vernichten landwirtschaftliche Einkommen in Milliardenhöhe und werden deshalb strikt zurückgewiesen. Während andere gesellschaftliche Gruppen in Deutschland trotz leerer Haushaltskassen wie selbstverständlich eine Verbesserung ihrer Einkommenssituation mit Hilfe von Streiks durchzusetzen versuchen, mutet die EU-Kommission den Landwirten und insbesondere den Milchbauern drastische Einkommenssenkungen zu.
4.1. Bei Milch würde der Kommissionsvorschlag das Erzeugerpreisniveau auf nur noch etwa 20 Cent je Liter Milch absenken (schrittweise beginnend bereits ab 1.1.2004). Die vorgeschlagene Fortschreibung der Quotenregelung bis 2015 geht zwar in die richtige Richtung. Doch die weiteren Vorschläge zur Revision der Milchmarktordnung laufen auf eine vollkommene Aushöhlung der Quotenregelung hinaus, verbunden mit massiven Einkommensverlusten der Milcherzeuger. Die Quotenregelung muss konsequent zur Stabilisierung des Marktes genutzt werden. Zudem ist der bei jeder Übertragung von Milchquote vorgeschlagene Zwangsabzug von Milchquote zu Gunsten einer staatlichen Reserve inakzeptabel.
4.2. Für den Ackerbau hält die Kommission an ihren Vorschlägen zur Verschlechterung des Sicherheitsnetzes der Intervention unverändert fest. Gerade die Erntesituation 2002/2003 zeigt, dass sich das europäische Marktgeschehen mittlerweile fast vollständig den Weltmärkten angeglichen hat. Weder ist die Preissenkung bei Getreide mit der internationalen Marktlage gerechtfertigt, noch ist eine ersatzlose Streichung der Roggenintervention und der Monatsreports ohne jeglichen Ausgleich für die betroffenen Landwirte hinnehmbar.
4.3. Nicht hingenommen werden kann die Umstellung des bewährten Instruments der Flächenstilllegung auf eine Zwangs-Dauerbrache ohne Anbaumöglichkeit von nachwachsenden Rohstoffen. Hier setzt sich die Kommission in Widerspruch zu ihren eigenen Plänen für den Ausbau erneuerbarer Energien. Auch soll der vorgeschlagene CO2-Zuschlag im Direktausgleich wird auf 1,5 Millionen Hektar "gedeckelt" werden. Dies demotiviert Landwirte und Verarbeiter, die in diesen Zukunftsmarkt investieren wollen.
4.4. Die angepassten Vorschläge zu Stärkekartoffeln, Eiweißpflanzen, Hartweizen und Energiepflanzen gehen in die richtige Richtung. Die geplante ersatzlose Überführung der speziellen Beihilfen für Trockenfutter und Saatgut - ebenso für Mutterkühe und die Bullenmast in eine allgemeine Betriebsprämie - wird aber Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Investitionen in der Landwirtschaft und den vor- und nachgelagerten Bereichen gefährden. Hier muss im Einzelnen sichergestellt werden, dass auch bei weitergehenden Entkopplungsschritten Markt- und Einkommensperspektiven erhalten bleiben.
5. Die EU-Kommission handelt überstürzt, in weiten Teilen ihres Vorschlagspaketes wenig schlüssig und ohne Rücksicht auf die Folgen für Natur und Umwelt, Verbraucher und Landwirte. Auch ist nicht erkennbar, wie die europäische Verhandlungsposition in der WTO-Runde mit der erklärten Absicht, die Blue-Box zu verteidigen, gestärkt werden soll. Der Deutsche Bauernverband bekräftigt deshalb seine Auffassung, dass die Debatte über weitere Reformen der EU-Agrarpolitik sorgfältig geführt werden muss und auch kann. Der Agenda-Zeitraum bis 2006 bietet dafür den notwendigen Spielraum.
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