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"Hauptsache es passiert was." - Umsetzung der Rürup-Vorschläge bedeutet Weichenstellung in der Sozialpolitik

Düsseldorf (ots)

Einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der
Diskussion um die Sicherung der Sozialen Sicherungssysteme nannte
Staatssekretär Heinrich Tiemann (Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung) die Vorschläge der Rürup-Kommission. Die
Vorschläge zeigten, dass das System trotz der vielfältigen
Belastungen auch morgen noch verlässlich sein könne, wenn die
strukturellen Reformen in allen Zweigen der Sozialversicherung
umgesetzt werden. Tiemann betonte im Rahmen der
Handelsblatt-Konferenz "Reform der Sozialen Sicherungssysteme" (8.
September 2003), dass eine "aktive Gesellschaftspolitik die
Voraussetzung zur Lösung der Probleme in den Sozialen
Sicherungssystemen" sei.
Den rund 130 Teilnehmern der Handelsblatt-Konferenz führte Prof.
Dr. Dr. h.c. Bert Rürup Eckpunkte der von ihm geführten Kommission
vor. Er betonte, dass es nicht das Ziel der Kommission gewesen sei,
neue Konzepte zu erarbeiten, sondern das gewachsene System zu
adaptieren. Die Qualität der zugrunde gelegten Zahlen nannte Rürup
"die sichersten, die man aktuell bekommen könnte". Der bereits durch
die Riester-Rente begonnene Systemwechsel zu einem mischfinanzierten
Alterseinkommen unterstützte Rürup und nannte als Ziel der Kommission
das Mischverhältnis weiter auf die Kapitaldeckung auszuweiten.
Zu der derzeit geführten Debatte um das Renteneintrittsalter von
67 Jahre im Jahr 2035 sagte Rürup: "Die Debatte wird nicht richtig
geführt". Der in der Kommission gefundene Kompromiss stabilisiere
nachhaltig ein Rentenniveau bis 2030 auf 42 Prozent und einen
Beitragssatz von 22 Prozent. "Wenn Politiker eine der Größen (Niveau,
Alterseintritt oder Beitragssatz) ändern wollen, dann verschiebt sich
alles". "Verhalten optimistisch" äußerte sich Rürup, dass die
Vorschläge zur Rente umgesetzt werden. Er warnte durch wahltaktische
Versuche, die Reformvorschläge zu verwässern, da "die Kosten der
Alterung nicht abgewählt, sondern nur anders verteilt werden können."
Die Rentenreform sei eine "Reform für die Enkel", da erst die ab 1990
Geborenen eine Entlastung spürten. Verlierer sind dagegen die 1970ger
Jahrgänge, die hohe Beitragssätze, hohe private Vorsorge und ein
niedriges Rentenniveau tragen müssten. Einen Systemwechsel hin zu
einer rein steuerfinanzierten Grundrente lehnte Rürup rigoros ab, da
man fünf Billionen Anwartschaften nicht streichen könne und die
bestehenden Anwartschaften noch vierzig Jahre gezahlt werden müssten.
Vielmehr propagierte er eine weitere Stärkung des derzeitigen Systems
durch die Ausweitung einer privaten Vorsorge.
Zum Thema "Gesundheitsreform" sagte Rürup: "Das gegenwärtige
System ist am Ende". Er forderte die Politik auf, so schnell wie
möglich eine Entscheidung zwischen Bürgerversicherung oder
Kopfpauschale zu treffen. Die Beitragsdynamik müsse so schnell wie
möglich gebremst und wettbewerbsstimulierende Maßnahmen ergriffen
werden. Eine Ausweitung von Kompromiss-Lösungen wie die Ausgliederung
des Zahnersatzes lehnte Rürup ab, da es so zu immer mehr "Mini-
Kopfpauschalen" komme, die das System weiter verteuerten. Die
Vorschläge zur Pflegeversicherung begrüßte Rürup als innovativ. Hier
sei es gelungen, die Gruppe der Erwerbstätigen zu entlasten und die
Rentner zu belasten. Für gerecht hält Rürup diese Lösung, da die
derzeitigen Rentner selbst nicht oder nur über einen kurzen Zeitraum
in die Pflegeversicherung eingezahlt haben.
Prof. Dr. Friedrich Breyer (Universität Konstanz) kritisierte die
Vorschläge der Rürup-Kommission und favorisierte eine deutlichere
Hinwendung zum Schweizer-Modell. Breyer hielt den Vorschlägen der
Kommission entgegen, dass die Gleichbehandlung und
Generationsgerechtigkeit nicht ausreichend berücksichtigt sei. Die
Nachhaltigkeit stellte er ebenfalls in Frage. Er plädierte deutlich
für eine Ausweitung des Personenkreises der gesetzlich Versicherten
und die Einführung einer Bürgerversicherung.
Der Kritik Breyers hielt Rürup entgegen, dass sehr wohl auch
gruppenspezifische Faktoren in den Vorschlägen berücksichtigt worden
seien. "Gruppendynamische Effekte müssen aber glatt gebügelt werden,
da sie typisch für ein Sozialversicherungssystem sind." Dem
Gerechtigkeitsargument von Breyer hielt Prof. Dr. Dr. Lauterbach
(Universität Köln) entgegen, dass eine Renditeschöpfung im
derzeitigen System gerecht nicht möglich sei, auf Grund der
demographischen Entwicklung. Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen
(Universität Freiburg) betonte, dass der von der Kommission
eingeführte "Nachhaltigkeitsfaktor der demographische Preis" sei. Die
Diskussion um die Unterschiede bei den Einkommensschichten und den
Lebensaltern hielt Raffelhüschen für müßig.
Horst Seehofer (CDU/CSU-Bundestagsfraktion) nannte die
detailverliebte Kritik an den Vorschlägen für überflüssig. Er hob
positiv hervor, dass die Politik endlich parteiübergreifend umsteigen
würde, weil man sich ein System, das nicht kapitalgedeckt sei,
einfach nicht mehr leisten könne. "Wir können froh sein, dass eine
Weichenstellung passiert, indem endlich die Arbeitgeberanteile
gesenkt werden können". Er stellte eine grundsätzliche Reform des
Gesundheitssystems in vier Jahren in Aussicht. Derzeit würden die
Weichen dazu gestellt. Der jahrelange Reformstillstand sei endlich
durchbrochen und das Verständnis der Bevölkerung wesentlich größer
als noch vor ein paar Jahren.
Während der Podiumsdiskussion, an der auch Josef Beutelmann
(Barmenia Krankenversicherung), Dr. Eckart Fiedler (Barmer
Ersatzkasse), Heinz Putzhammer (Deutscher Gewerkschaftsbund) und
Andreas Storm (CDU/CSU-Bundestagfraktion) teilnahmen, wurde besonders
die Frage nach der Einführung einer Bürgerversicherung diskutiert.
Die Notwendigkeit zu mehr Kapitaldeckung war der kleinste gemeinsame
Nenner auf den sich die Interessenvertreter einigen konnten. Horst
Seehofer erinnerte an die gesellschaftliche Bedeutung von Solidarität
und Eigenverantwortung und verwies auf deren Bedeutung bei der
Absicherung von Alter, Gesundheit und Pflege. Er betonte noch einmal,
dass die Reform für die junge Generation nicht ausreicht. Darum lehne
er auch eine Reform, "die auf Kante genäht" sei ab. Aber: "Hauptsache
es passiert was."
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