Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur steigenden Lebenserwartung
Bielefeld (ots)
Die Welt ist so schlecht dran, dass man schon vom bloßen Hingucken krank werden muss - das beklagen voller Selbstmitleid vorzugsweise wir Deutschen und müssen, im Innern offenbar eher unwillig, zur Kenntnis nehmen, dass unsere Lebenserwartung von Jahr zu Jahr wächst und wächst und wächst. Beinahe lustvoll treibt die Krone der Schöpfung diese Lieblingsübung auf immer neue Spitzen. Wer beispielsweise am heutigen schönen 28. August 2007 geboren wird, darf - zunächst natürlich erst einmal nüchtern-statistisch gesehen - auf 82,1 Erdenbürger-Jahre hoffen, wenn er weiblichen Geschlechts ist, und auf 76,6 Daseins-Jahre, wenn er als Junge das Licht der Welt erblickt. Und wer weiß, bis zu welchen Höhen sich die Dinge in der Zukunft noch fortentwickeln werden? Dabei hören und lesen wir doch pausenlos nur von Bedrohungen und Todesgefahren, die angeblich hinter jeder Medien-Mücke lauern. Und wenn nicht, dann werden sie eben kurzerhand zu Schreckens-Elefanten aufgeblasen. Denn nur Horror-Schlagzeilen verkaufen sich vermeintlich gut. Dutzendmillionenfach befällt das Aids-Virus Menschen vor allem in Afrika und rafft Tag um Tag ungezählte von ihnen dahin. Dazu Rinderwahn, Sars und die Vogelgrippe wie just wieder in Bayern, wo bei einem einzigen Großmäster mit einem Schlag sage und schreibe 160 000 (!!) Enten »vorsorglich« gekeult worden sind, weil das Virus H5N1 womöglich auf Menschen überspringen könnte. Seit längerem grassiert gerade auch hier in Deutschland eine Vergiftungspsychose, die bei sachlich-nüchterner Betrachtung nachgerade grotesk irrational anmuten muss. Doch ausschließlich in offenen Marktwirtschaften, nicht jedoch im Sozialismus funktioniert weithin die Produkthaftung für den Fall, dass Kriminelle verbotene Giftstoffe in Lebens- und Futtermittel mischen. Und: Wir konsumieren zehntausendmal mehr natürliche Abwehrgifte, mit denen sich Pflanzen gegen ihre Feinde zur Wehr setzen, als künstlich hergestellte. Alles und jedes wird bei uns in den Alarm-Rang einer »Volkskrankheit« erhoben. Fettleibigkeit? De facto sind die meisten Kinder gesund, viele treiben Sport, haben kein Übergewicht. Richtig ist: Die (zu) Dicken werden noch dicker. Aber: Jeder dritte Deutsche joggt, zwei Drittel gehen regelmäßig schwimmen, 22 Prozent trimmen sich in Fitness-Studios. Und die »Volkskrankheit Depression«, die noch bis in die 1960er Jahre fast gänzlich unbekannt war? Hatten die Menschen früher etwa keine Existenzsorgen? Leiden viele in der oft allzu flachen »Event«-Vergnügungsgesellschaft nicht eher an einer chronischen körperlichen und geistigen Unterforderung, ja, sogar an einem Mangel an »Stress«? Das fragt nicht von ungefähr auch der Zukunftsforscher Matthias Horx. Hurra, wir leben immer länger!? Wenn selbst diese rosige Aussicht die Lebensgeister nicht beflügelt, was könnte uns dann eigentlich noch aufhelfen?
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