Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum SPD-Parteitag
Bielefeld (ots)
Prächtige Schlachtschiffe sollen sich schon selbst versenkt haben, wenn die Mannschaft zu ungestüm auf Back- oder Steuerbord wechselte. Die SPD wird indes beim Parteitag in Hamburg nicht untergehen. Jedoch: Der von Kurt Beck verordnete heftige Linksschwenk ereilt das Dickschiff der sozialen Gerechtigkeit in seiner schwersten Krise seit 60 Jahren. Massiver Mitgliederverlust, monatelang immer neue Tiefststände in den Umfragen und jetzt ein ungewohnt streitsüchtiger Parteichef: Ihr elfter Vorsitzender seit dem Kriege will das drohende Ende als Volkspartei nicht kampflos hinnehmen. Erst Münte, dann Merkel: Der Pfälzer keilt und holzt, dass es nur so kracht. Und das soll so sein. »Wenn wir nur geräuschlos regieren, werden die anderen die Lorbeeren nach Hause tragen«, sekundierte gestern SPD-Präside Christoph Matschie eilfertig - und merkte nicht, dass genau das längst geschehen ist. Ursula von der Leyen etwa nahm der SPD ihr Traditionsthema Beruf und Familie schon vor Monaten wie die Wurst vom Butterbrot. Staunend erlebte Deutchland, dass Kanzlerin Angela Merkel in diesem Jahr nach EU-Ratspräsidentschaft und dem Glanz von Heiligendamm sozialdemokratische Weisen zum Sommerhit 2007 machte. Beck saß in der Sympathiefalle. Gestern war Schluss mit höflich. Gegen die »guten Sitten« verstoße, was Frau Merkel da mit der SPD treibe, tobte Beck. Merke: Alle Varianten von »unanständig« gelten im Berliner Politsprech als Höchststrafe. Was man im Regierungsbündnis gemeinsam erreiche, »muss man auch fair miteinander vertreten«, grollte der SPD-Chef weiter und gab Rätsel auf. Nicht er, sondern Widersacher Müntefering sitzt in der Regierung. Unangenehmes gibt es kaum zu »vertreten«, wohl aber Wachstumsraten und Einnahmerekorde zu feiern. Neben Sticheleien wie Unionsleute petzen fiel auch das Wort von der »Funktionsfähigkeit einer Koalition«. Diesen Fehdehandschuh nahm niemand auf. Das wäre der Einstieg in den Ausstieg. Ganz klar: Alles, was noch vor dem Parteitag verlautet, ist Parteitaktik pur - aber nicht Lust auf Neuwahlen. Das Spiel mit dem Feuer kann allerdings höllisch schnell überspringen. Schließlich ist das vorliegende »Hamburger Programm« nichts anderes als Lockstoff für den Tag X. Zuvor sollten die Sozialdemokraten jedoch die Gretchenfrage klären, wie sie es mit Lafontaine und dessen Rattenfängern hält. Derzeit werden einfach zu viele Truppen auf den linken Flügel geschickt. Die Einladung an die Bürgerlichen, auf die offene Flanke Mittelinks nachzurücken, ist unübersehbar. Rüttgers, Laumann, Kauder und Co. stehen parat. Selbst Westerwelle wildert im Sozialen: »Der Aufschwung geht an vielen Bürgern vorbei.« Bis zu 2000 Euro habe eine vierköpfige Familie »dank« großer Koalition weniger, ergänzt Hermann-Otto Solms. Die Liberalen rechnen richtig, aber dazu schweigen die großen Zampanos der sozialen Gerechtigkeit.
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