Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Online-Durchsuchungen
Bielefeld (ots)
Die Karlsruher Verfassungsrichter haben geurteilt - die Regelung zur heimlichen Online-Durchsuchung im Verfassungsschutzgesetz des Landes NRW ist vom Tisch. Handwerklich mangelhaft und ohne rechtsstaatliches Augenmaß mit heißer Nadel gestrickt, konnte das Gesetz der Prüfung nicht standhalten. Wirklich überrascht hat das wohl nur NRW-Innenminister Ingo Wolf. Eher überraschend ist aber, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble den Richtern applaudiert. Er sieht sich darin bestätigt, dass der Staat die Festplatten der Bürger auf der Jagd nach Terroristen ausspähen darf. Allerdings hat das Gericht die Hürden dafür so hoch gebaut, dass die Verfassungsschützer diese nur in wirklich ernsten Fällen überspringen können. Die »Rasterfahndung« via Bundes-Trojaner bleibt unerfüllter Traum der Sicherheitsorgane wie Alptraum der Datenschützer. Liegt ein konkreter Verdacht auf eine ernsthafte Straftat vor, müssen - und dürfen - Verfassungsschutz und Polizei online durchsuchen. Die Voraussetzungen dafür hat Karlsruhe abgesteckt. Diese muss der Gesetzgeber jetzt ausgestalten. Polizei und Verfassungsschutz brauchen so schnell wie möglich konkrete Vorgaben, um gegen Terroristen und Co. wirkungsvoll vorgehen zu können. Das Urteil räumt Bedenken im Vorfeld aus. Insofern hat Schäuble tatsächlich Grund zur Freude. Weniger überraschend ist, dass der Richterspruch auch bei Datenschützern und Bürgerrechtler auf Zustimmung stößt. Karlsruhe hat die Vertraulichkeit von elektronisch gespeicherten Daten in den Rang eines Grundrechtes erhoben. Damit erkennen die Richter zugleich an, dass im 21. Jahrhundert für viele Menschen der Computer ein zentraler Aufbewahrungsort für tausend Geheimnisse ist. Dort sind höchst private E-Mails und Briefe gespeichert, auf der Festplatte finden sich Kontodaten, Rechnungen, Tagebücher, Krankengeschichten... In digitaler Form sind die Daten leicht zu sichten, zu sammeln und im schlimmsten Fall zu einem Persönlichkeitsprofil zu kombinieren. Der unbescholtene Bürger hat das Recht, dass der Staat diesen privaten Raum ebenso respektiert wie die Unverletzlichkeit der Wohnung. Deshalb sollten für eine Durchsuchung auch ähnlich strenge Regeln gelten. Keine Überraschung ist, dass Karlsruhe im Ergebnis wie in der Formulierung ein salomonisches Urteil verkündet hat. Aber sollten Politiker nicht Gesetze verabschieden, die den Spielregeln des Grundgesetzes genügen? Statt dessen drängt sich der Verdacht auf, dass viel zu oft die Korrektur durch das Verfassungsgericht eingeplant oder bewusst in Kauf genommen wird. Dass es vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus im Umfeld von Internet und Datenspeicherung noch Regelungsbedarf gibt, ist unstrittig. Die Politik sollte diese Gesetzesvorhaben jetzt angehen, ohne weitere Verzögerung, mit der gebotenen Sorgfalt und mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Damit das nächste Urteil aus Karlsruhe wirklich niemanden überrascht.
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