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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum schilderlosen Bohmte

Bielefeld (ots)

Klare Regeln vereinfachen das Leben. Das gilt
auch im Straßenverkehr. Vorfahrt- und Stoppschilder verhindern 
Unfälle und Anarchie. Diese weithin für selbstverständlich gehaltene 
Überzeugung gerät gerade ins Wanken. In der Gemeinde Bohmte bei 
Osnabrück läuft seit einem Monat ein für die ordnungsliebenden 
Deutschen schier unglaubliches Experiment: An der Hauptverkehrsstraße
gibt es keine Verkehrsschilder, Ampeln und Bürgersteige mehr. »Shared
Space« heißt das Projekt der Europäischen Union, bei dem die Diktatur
der Schilder durch die Höflichkeit der Verkehrsteilnehmer ersetzt 
werden soll. Shared Space heißt Raum für alle. Durch den Wegfall von 
Regeln soll Rücksicht gefördert werden.
Das von dem Niederländer Hans Monderman ersonnene Konzept setzt auf 
Unsicherheit für den Einzelnen, die letztlich zu mehr Sicherheit für 
alle führen soll. Heißt konkret: Ohne Ampel fahre man langsamer in 
die Kreuzung hinein und verständige sich per Handzeichen, damit 
nichts passiert.
So weit die faszinierend klingende Theorie. Ob Bohmte ein Modell für 
Deutschland wird, muss allerdings bezweifelt werden. Da sind zum 
einen die Kosten. Ein gemeinsamer Verkehrsraum für Autofahrer, Radler
und Fußgänger erfordert aufwändige Umbauten wie eine einheitliche, 
durchgehende Pflasterung aller Flächen. Das kostet bundesweit 
Milliarden Euro - Landkreise, Städte und Gemeinden würden Zeter und 
Mordio schreien. Schließlich ist es nicht damit getan, 
Verkehrsschilder abzumontieren und einzumotten.
Demokratie im Straßenverkehr hört sich nett an, kann aber allenfalls 
für Gemeinden und Kleinstädte und dort nur in einzelnen Vierteln 
empfohlen werden. Die Erfahrungsberichte aus den sieben 
Shared-Space-Projekten in Belgien, England, Holland und jetzt 
Deutschland sind viel zu dünn, als dass dieses Konzept mit ruhigem 
Gewissen auf Straßen mit hohem Durchgangs-, Einkaufs- und 
Schülerverkehr ausgeweitet werden könnte. Hier per se Rücksichtnahme 
vorauszusetzen, wäre leichtfertig, schließlich gibt es genug Rabauken
auf unseren Straßen. Hinzu kommen die von Alkohol oder Drogen 
Benebelten: Hier ist das Rotlicht der Ampel noch am ehesten in der 
Lage, ins Bewusstsein zu dringen.
Dass es nicht völlig ohne Vorgaben geht, weiß man auch in Bohmte. 
Dort gilt, bei aller Höflichkeit, rechts vor links. Das 
Verkehrsexperiment in Niedersachsen sollte nicht überbewertet, 
sondern als Ansporn verstanden werden, den Schilderwald so weit wie 
möglich zu lichten. Da ist einiges möglich, wie der ADAC 1998 in der 
Kleinstadt Schwelm vorexerzierte: Jedes dritte Schild wurde entfernt,
ohne dass die Sicherheit gelitten hätte. Im Gegenteil: Ein Zuviel an 
Information überfordert Verkehrsteilnehmer, wissen Psychologen. Das 
rechtfertigt aber keineswegs Tabula rasa, und deshalb darf Bohmte 
nicht das Ende von Vorfahrt- und Stoppschildern einleiten, denn sie 
werden zu unser aller Schutz weiter gebraucht.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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