Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Koalitionsverhandlungen in NRW
Bielefeld (ots)
Der Politikwechsel in NRW hat begonnen. Obwohl die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen gerade erst beginnen, ist in der Bildungspolitik die Marschrichtung bereits erkennbar: Kommando zurück lautet die erste Direktive. Kopfnoten und Grundschulempfehlungen werden einkassiert, Schulbezirke für Lernanfänger und Berufsschüler wieder eingeführt. Zum Jahreswechsel folgt der Frontalangriff auf Gymnasien, Haupt-, Real- und selbst Gesamtschulen. Im SPD Wahlprogramm heißt es dazu: Die Gemeinschaftsschule unterrichte alle Kinder in den Klassen 5 und 6 gemeinsam und weiter: »Eltern, Schule und Schulträger entscheiden, ob von der siebten Klasse an weiterhin vollständig integrativer Unterricht stattfindet oder ob eine Differenzierung in Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialklassen vorgenommen wird.« De facto bedeutet dies, erste ausgewählte Gymnasien werden vom nächsten Sommer an auch lernschwache Schüler aufnehmen müssen. Im Gegenzug sind bestimmte Hauptschulen verpflichtet, jeden Schüler optimal zu unterrichten - selbst Hochbegabte. Mehr noch: Das bisherige Gymnasium muss auch den schwierigsten Schüler halten und die zur Gemeinschaftsschule umgebogene Hauptschule den Überflieger fördern und fordern. Einzig verhandelbar ist noch, wie schnell die Umstellung erfolgt. Die Grünen wollen bis 2020 die vier bisherigen Schulformen vollständig abgeschafft haben. Bei der SPD darf das schneller gehen. Die Linken, ohne deren Stimmen hier nichts läuft, würden gern sofort und auf der Stelle die Schulrevolution ausrufen. In ihren 39 Regierungsjahren bis 2005 hat sich die SPD nicht an die Zerschlagung des vorhandenen Schulsystems heran getraut. Ein Parteitagsbeschluss zur flächendeckenden Einführung der integrierten Gesamtschule ist in Zeiten von Ministerpräsident Johannes Rau und SPD-Schulminister Hans Schwier Mitte der 1990er Jahre still und heimlich wieder kassiert worden - aus guten Gründen. Wer den Schulkrieg erklärt, kann nur verlieren. Um das zu verstehen muss man nicht bis 1978 zum Volksbegehren gegen die kooperative Schule in NRW zurückschauen. Ein aktueller Blick auf den Konflikt im schwarz-grünen Hamburg oder die Verlosung von Gymnasialplätzen in Berlin reicht. Außerdem: Die NRW-Verfassung schreibt das gegliederte System fest. Die Systemumstellung beginnt dessen ungeachtet schleichend. Zunächst werden selbst CDU-geführte Kommunen von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen und schwache Hauptschulen mit gesunden Realschulen zusammenlegen. Auf dem Lande macht das mitunter durchaus Sinn. Sobald in der folgenden Phase die Zwangskollektivierung forciert wird, ist Schluss mit lustig. Eltern, Schüler, Ehemalige und Opposition werden in den Kampf um jede einzelne zum Abschuss freigegebene Traditionsschule eintreten.
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