Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum den Äußerungen von Papst Benedikt XVI.
Bielefeld (ots)
Paukenschlag im Vatikan: Obwohl bisher nur Vorab-Auszüge aus dem Gesprächsbuch »Licht der Welt« vorliegen, horcht die Welt auf. Zu Recht. Es kommt einer Sensation gleich, dass Papst Benedikt XVI. die Verwendung von Kondomen nicht mehr kategorisch ausschließt. Dass er einschränkend von »begründeten Einzelfällen« spricht, ändert daran ebenso wenig wie seine Mahnung, Präservative seien »nicht die eigentliche Art, dem Übel der HIV-Infektion beizukommen«. Die Papst-Worte sind ein Hoffnungsschimmer. Seht her, die katholische Kirche ist nicht so weltfremd wie behauptet. Seht her, der deutsche Papst ist nicht so erzkonservativ und unbelehrbar wie gedacht. Auch wenn man sich mehr wünschen kann: Die Tatsache, dass Benedikt XVI. die Verwendung von Kondomen als »ersten Schritt zu einer Moralisierung« und als ein »erstes Stück Verantwortung« qualifiziert, zählt. Jahrelang hatte sich der Heilige Stuhl ausnahmslos dagegen ausgesprochen - den Aids-Problemen in aller Welt zum Trotz. So überraschend die Wende kommt, so hilfreich kann sie sein. Vor allem in Afrika, wo die tückische Immunschwächekrankheit in einem für uns unvorstellbaren Ausmaß wütet, hat das Papstwort großes Gewicht. Dabei muss die katholische Kirche keinesfalls ihre Grundwerte aufgeben, um »die Zeichen der Zeit« zu erkennen, wie es im Untertitel des Interviewbuches heißt. Sie darf es noch nicht einmal, und deshalb ist es ebenso selbstverständlich wie wertvoll, dass Papst Benedikt XVI. nicht müde wird, »die Vermenschlichung der Sexualität« zu fordern und die »zerstörerischen Prozesse, die aus Übermut und Überdruss sowie einer falschen Freiheit der westlichen Welt geboren sind«, klar zu benennen und zu verurteilen. Auch wenn das mancher säkularisierte Geist nur sehr ungern hören wird. Überhaupt dürften die Inhalte des Gesprächsbuches erst in den nächsten Tagen und Wochen ihre volle Wirkung entfalten. Bemerkenswert sind Benedikts Aussagen zur Toleranz gegenüber dem Islam, wenn es um den Bau von Moscheen und das freiwillige Tragen der Burka geht. Auch die Worte zum Umgang mit dem Judentum lassen aufhorchen, wenn der Papst die Veränderung der lateinischen Messe damit erklärt, dass sie »für die Juden wirklich verletzend war«. Am meisten überrascht jedoch Benedikts Selbstkritik, was den Umgang mit den Pius-Brüdern und Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson angeht. Ein so klares Eingeständnis eigener Fehler ist wohltuend. Gleichwohl wirft es ein bezeichnendes Licht auf die Vorgänge im Vatikan, wenn dem Papst tatsächlich der Ernst der Lage verborgen bleiben konnte. Auch bei der Regie am Wochenende bewies die römische Kurie kein gutes Händchen. So wichtig die Papstworte sind, ihre Vorabveröffentlichung in der Vatikan-Zeitung »Osservatore Romano« kam zur Unzeit. Die Ernennung von 24 Kardinälen - ein Fest für die gesamte katholische Kirche und Millionen Gläubige in aller Welt - wurde so quasi zu einem Randereignis degradiert.
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