Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Guttenberg-Umfragen:
Bielefeld (ots)
Es knirscht in diesen Tagen in Deutschland zwischen der öffentlichen Meinung und der veröffentlichten. Je nach Umfrage fordern bis zu 87 Prozent der Menschen, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg solle im Amt bleiben - auch ohne Doktortitel. Damit steht Volkes Stimme im Gegensatz zu der Position, die nahezu alle Zeitungen, Fernsehsender und Magazine einnehmen. Abgesehen von der Bild-Zeitung, die »KT« lange vor der Plagiatsaffäre zu ihrem Liebling erklärt hat und nun nichts auf ihn kommen lässt. Hat die Presse ihr Ohr nicht am Puls der Menschen? Hat sie die Bodenhaftung verloren? Will sie sich nur mit der Trophäe schmücken, einen weiteren Politiker zur Strecke gebracht zu haben? Mitnichten. Nichts wäre für Kommentatoren einfacher, als auf den Zug der Pro-Guttenberg-Bewegung aufzuspringen. Den Baron zu loben, weil er als erster vom Krieg in Afghanistan gesprochen hat. Ihn zu preisen, weil er die Bundeswehr neu aufstellt. Ihm zu danken, weil er frischen Wind ins Kabinett gebracht hat. Wirklich, nichts wäre einfacher. Aber das ist eben nicht die vordringliche Aufgabe von Journalisten. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Pressefreiheit als »konstituierend für die Demokratie« bezeichnet, dann ist damit auch die Wächterfunktion angesprochen, die Zeitungen, Radio und Fernsehen zufällt. Es ist einer der wichtigsten Aufträge der Presse, Betrug, Korruption, Steuerverschwendung, Mauscheleien und Amtsmissbrauch an die Öffentlichkeit zu bringen. So wird die Demokratie gestärkt, so wird das Zutrauen in den Rechtsstaat erhalten. Es ist keine Hetzjagd auf Guttenberg, die Deutschlands Medien im Moment umtreibt, sondern der Versuch, die Affäre so transparent wie möglich zu machen. Erst die detaillierte Offenlegung der Abläufe und Verantwortlichkeiten ermöglicht es jedem von uns, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Der eine kommt dabei zu dem Schluss, der Makel des Plagiats trete weit hinter die Verdienste Guttenbergs zurück. Der nächste will den Minister abtreten sehen, weil er ihm grundsätzliche charakterliche Mängel unterstellt und in seinem Festhalten am Amt eine Bagatellisierung des Vergehens sieht. In diesem Spannungsfeld drückt sich die Presse nicht davor, das Vergehen Guttenbergs einzuordnen. Ist es vertretbar, eine Kassiererin, die einen Leergutbon unterschlagen hat, zu entlassen, wenn ein Regierungsmitglied, das über Jahre mit verbotenen Methoden an seiner Promotion herumgedoktert hat, bleiben darf? Wohl in der Sorge, Demokratie und Rechtsstaat könnten Kratzer bekommen, wenn man einem Bundesminister erst einmal so etwas durchgehen lässt, gelangen selbst konservative Kommentatoren zu dem zugegeben unpopulären Schluss, Guttenberg müsse gehen. Aber: Jeder darf ganz anderer Meinung sein. Das ist gut, und die Presse wacht darüber, dass es so bleibt.
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