Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu China
Bielefeld (ots)
Kann ein Spaziergang politisch gefährlich sein? Eigentlich nicht; doch wenn Flanieren zur Demonstration für Freiheit und Demokratie wird, kann es autoritäre Regime bedrohen. So denkt zumindest die chinesische Regierung, die öffentliche »Spaziergang-Demonstrationen« rücksichtslos unterdrückt. Denn die chinesische Führung ist nervös. Sie befürchtet ein Übergreifen der arabischen »Jasmin-Revolution« auf China und will die Proteste im Keim ersticken: Der Volkskongress hat soeben den Etat für die innere Sicherheit auf Rekordhöhe bewilligt, und Polizei und Geheimdienste bedrängen und verhaften Demonstranten und Journalisten. Die Stimmung in Tunis und Kairo lässt sich mit den chinesischen Massenprotesten von 1989 vergleichen. Die Pekinger Studenten demonstrierten damals zu Tausenden, schwenkten Transparente und kampierten solidarisch auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Doch während es in Kairo ein »Happy End« gab, wurde der Pekinger Aufstand blutig niedergeschlagen. Der große Platz ist noch heute ein Symbol für Staatsbrutalität und Parteidiktatur. Weil das chinesische Regime mächtig und skrupellos ist, müssen die Demonstranten vorsichtig sein. Die chinesische Regierung bräuchte den Vergleich mit Tunesien und Ägypten eigentlich nicht zu scheuen: China ist wirtschaftlich sehr erfolgreich, kennt keine Hassfiguren wie Mubarak, Ben Ali oder Gaddafi, und Polizei und Armee unterstehen der absoluten Macht der Partei. Dennoch ist der Staat nervös, kontrolliert das Internet, verbietet Demonstrationen und schikaniert Journalisten. Gelassenheit und Besonnenheit gegenüber der arabischen Revolte stellen sich nicht ein. Und das hat seine Gründe: Es brodelt unter der äußerlich ruhigen Oberfläche. »Wir brauchen Arbeit, Brot und Wohnungen«, stand auf einem Transparent. Die Preise für Mieten und Nahrungsmittel steigen schnell, viele Jungakademiker sind arbeitslos, und alljährlich kommt es zu Tausenden von örtlich begrenzten Demonstrationen. Die Staatsführung hat inzwischen Chinas Probleme erkannt und Reformen versprochen, doch bei Menschenrechten und Freiheit bleibt sie hart. Jeder Versuch, die »soziale Harmonie« zu stören, wird brutal unterdrückt. Dennoch kann der Staat das Internet nicht ganz blockieren. Informationen über Freiheitsbewegungen werden wieder durchdringen. Viele Chinesen erkennen die Diskrepanz zwischen Regierungspropaganda und politischer Wirklichkeit. Zunächst hat der Staat zwar gewonnen, die Jasmin-Revolution wurde verhindert, doch das Internet wird die Chinesen weiterhin stark beeinflussen. Partei und Staat greifen zu Gegenmaßnahmen, die wenig nützen, da sich demokratische Reformen nicht ewig aufschieben lassen. Der Ruf nach Freiheit folgt dem wachsenden Wohlstand. Man sollte China wünschen, einen friedlichen und geordneten Weg zur demokratischen Selbstbestimmung finden zu können.
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