Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Atomausstieg
Bielefeld (ots)
Auf den ersten Blick ist die Sache klar. Das Parlament hat auf Antrag der Regierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke verkürzt. Den Schaden haben die deutschen Energiekonzerne, die jedoch für die Ursache - die nukleare Katastrophe von Fukushima - nicht verantwortlich sind. Klar, dass die Vorstände nun Schadensersatz fordern. Täten sie es nicht, könnten sie selbst von ihren Aktionären in Regress genommen werden. Doch um die Frage ausgewogen zu bewerten, lohnen in diesem Fall ein zweiter, dritter und sogar ein vierter Blick. Schon so zu tun, als ob Fukushima nach dem 11. März 2011 die Ausgangslage in Deutschland nicht verändert habe, ist eine ziemliche Unverfrorenheit. Nach Tschernobyl konnte man vielleicht noch argumentieren, dass der größte anzunehmende Unfall in Deutschland ausgeschlossen sei. Nach der Katastrophe in dem Hochtechnologieland Japan ist das unmöglich. In einem solchen Fall aber, wenn es um das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit geht, hat das Bundesverfassungsgericht schon 1978 im Prozess um den stillgelegten Hochtemperaturreaktor in Kalkar geurteilt, dass die Regierung das Recht hat, eine Genehmigung zu versagen. Im Fall der angekündigten Schadensersatzklage der Energiekonzerne Eon, RWE und voraussichtlich Vattenfall werden die Richter auch in Rechnung zu stellen haben, dass die Energiewende nur eine Wende von der Wende gewesen ist. Das heißt: Ein großer Teil der angeordneten Schließungen war ohnehin schon einmal zu diesen oder jedenfalls zu nicht viel späteren Terminen vereinbart. Daher werden die Konzerne Mühe haben, wirkliche Vermögensschäden nachzuweisen - es sei denn, sie haben tatsächlich im ein oder anderen Einzelfall in die Fortführung ihrer Atomanlage investiert. Unterm Strich mutet es schon etwas seltsam an, dass Unternehmen, die ebenso wie Tepco in Japan und all die anderen Kernkraftwerksbetreiber weltweit jahrzehntelang keine Vorsorge für den Schadensfall getroffen haben, nun Schadensersatz fordern. In Japan ist es nicht anders als in der Ukraine: Für die Folgen der Katastrophe müssen natürlich der Staat und die Steuerzahler aufkommen. In Deutschland besteht inzwischen eine Verpflichtung zur Vorsorge, aber sie deckt die Gefahren bei weitem nicht vollständig ab. Gäbe es nicht das persönliche Risiko für die Manager bei einem Klageverzicht, könnten alle Beteiligten auf den Prozess mit leichter Hand verzichten. Beide Seiten, Regierung und Konzerne, müssten nur die Milliarden - angeblich 15, aber vermutlich deutlich weniger - Schadenersatz, die gefordert werden, mit den Milliarden, die nun an Subventionen für die Energiewende wieder an die Konzerne fließen, verrechnen. Dass die Unternehmen zweimal kassieren können, wäre nun wirklich der Gipfel aller Ärgernisse im Zusammenhang mit der Energiewende. Aber versuchen kann man es ja.
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