Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Steuersplitting
Bielefeld (ots)
Was wohl aus dem alten Rollenspiel »Vater, Mutter, Kind« meiner frühen Jugend geworden ist? Vermutlich gibt es das Spiel heute nicht mehr, weil die vielen Formen der Teil- und Patchwork-Familien inklusive gleichgeschlechtlicher Beziehungen die Spielregeln verkompliziert haben. Die traditionelle Form - Vater und Mutter in erster Ehe verheiratet, mit zwei oder mehr Kindern - ist immer mehr eine von vielen. Nur der Staat weigert sich in mancher Hinsicht noch, seine Regeln den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Das steuerliche Ehegattensplitting subventioniert nach wie vor, dass sich Mann und Frau versprechen, ein Leben lang für einander da zu sein. Grundlage ist Artikel 6 der deutschen Verfassung. Lässt man dessen religiöse Begründung beiseite, dann gab es bei Abfassung des Grundgesetzes dafür auch einen realen sozialen Grund: Zu einer Zeit, in der ein Partner - fast immer die Frau - die gesamte Erziehungszeit zu Hause blieb, bewahrte es eine Familie mit Kindern vor dem Absturz in die Armut. Heute aber ist das Ehegattensplitting nur ein Instrument der Familienförderung. Kindergeld, Kinderfreibetrag, Elterngeld, die beitragsfreie Mitversicherung bei der Krankenversicherung, der Bau von Kindertagesstätten, Kindergärten, Schulen und so weiter - alle sind in diesem Zusammenhang viel wichtiger. Sicher würde der Wegfall des Splittings in der jetzigen Form auch manche geringverdienende Kleinfamilie treffen. Doch ließen sich diese Auswirkungen durch ein neu einzuführendes Familiensplitting ausgleichen. Der Vorteil dieser Alternative wäre, dass jede Form des Für-Kinder-Daseins gefördert würde. Vielleicht sogar auch des Für-pflegebedürftige-Eltern-Daseins, falls sich dieser zusätzliche Passus finanzieren ließe. Nicht bezahlbar? Das muss erst bewiesen werden. Bei genauer Kalkulation stellt man nämlich fest: Einige Profiteure des jetzigen Systems verlören bei einer Reform ihre Privilegien. Gemeint sind Ehen, in denen ein Partner die Erfüllung seines Lebens einzig darin sieht, sich und dem anderen das Zuhause so angenehm wie möglich zu machen. Grundlage ist das hohe Einkommen oder Vermögen dessen, der für die Steuern aufkommt und durch das Splitting viel spart. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich jemand für diesen Lebensweg entscheidet. Aber muss ihn die Gesellschaft subventionieren? Wer genau rechnet, wird möglicherweise feststellen, dass so mehr Geld in der Staatskasse bliebe als durch eine Reichensteuer hineingespült würde. Auf Dauer wird die Politik nicht an einer Gleichstellung eheähnlicher Gemeinschaften mit verheirateten Paaren beim Ehegattensplitting vorbeikommen. Dafür wird schon das Bundesverfassungsgericht sorgen. Statt am Ehegattensplitting zu flicken sollten die Regierungsparteien die Chance nutzen, das Steuersparmodul durch ein anderes zu ersetzen: Familiensplitting fördert die, die wirklich Verantwortung und Lasten für die Kinder tragen.
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