Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Helmut Kohl
Bielefeld (ots)
Nicht mit einem Wort hat Helmut Schmidt (93) am vergangenen Samstag in Münster Helmut Kohl (82) erwähnt, als der SPD-Altkanzler über das Zustandekommen der deutschen Einheit auf dem Höhepunkt der Regierungszeit seines Nachfolgers sprach. Das war unfair von Schmidt, den laut Umfragen beliebtesten lebenden deutschen Politiker. Dem Hamburger Weltökonomen Schmidt sitzt ein einst großer Kanzler Kohl steif und starr gegenüber, der nach einem Sturz nicht mehr richtig sprechen kann, den seine zweite Frau laut »Spiegel« abschottet und der an und in seiner Partei viel zu erleiden hatte. Was ist schon Schmidts bitteres Scheitern wegen des Nato-Doppelbeschlusses gegen Kohls Verlust des Ehrenvorsitzes nach der Spendenaffäre? Der Verrat der SPD ist vergessen, Kohls politischer Sturz bleibt Pfahl im Fleische. Die laufende Festwoche aus Anlass von Kohls 30. Jahrestag der Wahl zum Bundeskanzler wird wenig an dessen kompliziertem Verhältnis zu den Deutschen und insbesondere zu seiner Partei ändern. Es ist ein Jammer, den einst umjubelten schwarzen Riesen von der Krankheit gezeichnet zu erleben. Blinzeln, krampfhaftes Lächeln, kaum klare Worte: Eine Normalisierung des Verhältnisses zu Angela Merkel, die ihn 1999/2000 ausstach, zu Wolfgang Schäuble, Norbert Blüm und vielen anderen Weggefährten kann so nicht gelingen - schon gar nicht auf der großen Bühne einer Feierstunde wie gestern im Deutschen Historischen Museum. Die Tatsache, dass Helmut Kohl körperlich anwesend war, muss genügen. Für einige Tage hat er sein Refugium in Oggersheim verlassen. Manche ätzen, die Zugbrücke der Burg sei wenigstens für kurze Zeit heruntergelassen worden. Dass die Talkshows ohne Helmut Kohl auskommen müssen, ist kein Verlust. Dass es aber gar keinen ernsthaften Austausch mit ihm mehr gibt, ist schlimm. Die Deutschen haben keine Chance, sich besser mit dem Politiker zu befassen, der länger als jeder andere Bundeskanzler war, der große Erfolge und schmerzhafte Niederlagen für Deutschland durchleben musste. 1989 noch beinahe weggeputscht, stieg er 1990 zum Kanzler der Einheit auf. Das Versprechen der geistig-moralischen Wende hielt Kohl zum Entsetzen seiner treuesten Anhänger nicht ein, aber er öffnete die Union zur Moderne, wie es Franz Josef Strauß (CSU) nie zuwegegebracht hätte. Mehr noch: Stets war Kohls durch und durch politische Integrität unbestritten. Selbst auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre unterstellte niemand die Käuflichkeit seiner Politik. All das wirft Fragen der Heutigen auf, ohne dass Antworten zu erwarten sind. Die Deutschen haben mit dem gerade 82 Jahre alten Kohl ein lebendes politisches Denkmal, aber sie können ihn nicht erreichen. Grausame Stille umgibt einen, der für uns so viel geleistet hat.
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