Westfalen-Blatt: das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Fall Wulff
Bielefeld (ots)
Die Staatsanwaltschaft hätte wissen müssen, dass Christian Wulff einer Verfahrenseinstellung gegen Geldzahlung niemals zustimmen würde. Der Ex-Bundespräsident hat nichts mehr zu verlieren. Ein Deal käme einem Schuldeingeständnis gleich. Genau das hatte Wulff bereits während der Debatten um seine Person vermieden. Ganz davon abgesehen, dass es merkwürdig wäre, wenn ein Mann, der über Geld und Glaubwürdigkeit gestolpert ist, mit selbigem den Kopf aus der Schlinge ziehen würde. Die Rechnung der Staatsanwaltschaft ist nicht aufgegangen. Angesichts einer offenbar dürftigen Beweislage - von 21 Vorwürfen ist einer übrig - trat sie die Flucht nach vorne an, präsentierte einen Deal. Doch nach der Ablehnung der 20 000-Euro-Zahlung bleibt nur die Anklage. Eine Einstellung nach Wulffs Absage wäre eine Blamage für die Staatsanwaltschaft. Eine Nichtzulassung durch das Gericht oder ein Freispruch aber auch. Die Ankläger haben sich selbst eine Zwickmühle geschaffen. Sie hätten besser gleich auf Deals verzichtet. Das wäre der sauberste Weg gewesen. Beim Verfahrensablauf ist der Staatsanwaltschaft kein Vorwurf zu machen. Sie musste ermitteln. Es lagen reichlich Verdachtsmomente zur Eröffnung eines Verfahrens vor, auch wenn wohl nur ein Hotelaufenthalt für etwa 750 Euro geblieben ist. Bei einer Vorteilsnahme in dieser Höhe riskiert jeder Beamte im Übrigen seine Existenz. Dass sich Verdächtigungen bei detaillierten Ermittlungen manchmal in Luft auflösen, passiert. Einigen Medien ist eine Schlammschlacht sicher vorzuwerfen. Ein Blick auf die Bobbycar-Affäre dürfte genügen. Der Justiz ist dies - zumindest bei der Entscheidung zur Verfahrenseröffnung - nicht vorzuhalten. Das Traurigste, abgesehen vom persönlichen Schicksal Wulffs, sind fehlende politische Konsequenzen. Dieses Exempel hätte jedem Politiker klarmachen müssen, dass es Zeit ist, die UN-Konvention gegen Korruption endlich zu ratifizieren. Ein klarer Rahmen, was erlaubt ist und was nicht, hilft allen Abgeordneten und Bundespräsidenten. Wer das nicht verstanden hat, sollte seine Haltung zu Bestechlichkeit hinterfragen. Das wird Wulff nach seinem Rücktritt mehrfach getan haben. Und hoffentlich festgestellt haben, dass die Grenzen zwischen kleinen Gefallen und großer Beeinflussung in seinem Alltag oft fließend waren. Auch die Verbindung zwischen ihm und Familie Geerkens im Zuge eines Hauskredits bleibt mit Fragezeichen versehen. Ganz zu schweigen von der inakzeptablen Drohung per Anrufbeantworter gegenüber der »Bild«. Seine Dickfälligkeit tat ihr Übriges. Wer nur zugibt, was schon nachgewiesen ist, verliert Vertrauen. Wulffs eigene Worte sind das beste Fazit: »Nicht alles ist in Ordnung, weil es nicht strafbar ist.« Eine strafrechtlich weiße Weste ist zwar möglich, eine moralische nicht. Das Ziel von Wulffs Anwälten, ihn »vollständig zu rehabilitieren«, kann also nur auf juristischer Ebene erfolgen.
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