Westfalen-Blatt: zum Thema Ukraine:
Bielefeld (ots)
Vitali Klitschko ist in der Lage, so ziemlich jeden Boxer dieser Welt auf die Bretter zu schicken, nicht aber die Regierung unter Präsident Viktor Janukowitsch. Die gestrige Abstimmung im Parlament der Ukraine ist ein Tiefschlag für die Opposition in der an Bodenschätzen so reichen, aber miserabel regierten ehemaligen Sowjetrepublik. Ein Großteil der Bevölkerung, aber eben nicht jeder Ukrainer, ist tief enttäuscht von Janukowitsch' Abkehr von Europa. Vor allem die Jungen und die Menschen im Westteil des tief gespaltenen Landes sehen sich um ihre Zukunft betrogen. Dabei kann der zweitgrößte Flächenstaat Europas mit einem ähnlich niedrigen Bruttosozialprodukt wie in der Republik Kongo kaum mit der EU-Vollmitgliedschaft rechnen. Dennoch wäre das von der Regierung Ende November suspendierte, also in den Müll geworfene Assoziierungsabkommen mit der EU eine enorme Verbesserung gewesen. Das einigermaßen korrekt gewählte Parlament hat die politische Umorientierung auf das mitunter gefürchtete Russland bestätigt. Und zur Wahrheit gehört auch, dass sowohl Moskau als auch Brüssel die Ukraine vor ein Entweder-Oder stellen. Wer privilegierte Beziehungen aushandelt, kann sie nicht gleichzeitig zu zwei konkurrierenden Wirtschafts-, Zoll- und Handelssystemen unterhalten. Klitschko mit seiner Partei Udar (Der Schlag) und Julia Timoschenkos Gefolgsleuten fehlt trotz der Massendemonstrationen nicht nur der Rückhalt in der Breite, sie sind auch zerstritten und ein Opfer politischer Unterdrückung. Diese resultiert aus der »selektiven Justiz« in der Ukraine, wie deutsche Außenpolitiker mit gewählten Worten das himmelschreiende Unrecht beschreiben. Abgesprochene Urteile und menschenverachtende Haftbedingungen - nicht allein für Frau Timoschenko - sind Dauerzustand. Unerträglich: Janukowitsch konnte beim Osteuropagipfel in Riga schalten, walten und seine Gesprächspartner nach Belieben vor den Kopf stoßen. Der ukrainische Präsident hat als jugendlicher Schläger und später zweimal wegen brutaler Gewalt in Haft gesessen. Janukowitsch hat auch boxen gelernt - allerdings das Boxen der schmutzigen Art. Janukowitsch kann nicht einsehen, weshalb er Verantwortung für die Gewalt auf den Straßen Kiews übernehmen sollte. Er flog gestern nach China, um dringend benötigte Wirtschaftshilfe einzuwerben. Dass er ein tief zerstrittenes Land und eine ebensolches Parlament zurückließ, dürfte ihm ziemlich egal gewesen sein. Wenn in den kommenden Wochen etwas das System Janukowitsch wirklich erschüttern kann, wird das die sich verschärfende Wirtschafts- und Finanzkrise sein. Kiew benötigt 17 Milliarden US-Dollar in 2014 zur Schuldentilgung und für Erdgaskäufe. Die hilflose Notenbank rief am Montagabend die Bürger dazu auf, nicht ihre Konten aufzulösen. Ungeschickter geht's nicht.
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