Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Bayreuther Festspielen
Bielefeld (ots)
»Wo Wagner draufsteht, muss vor allem Mensch drin sein.« Hat Kirill Petrenko behauptet. In Bayreuth dirigiert er demnächst wieder den »Ring«, Wagners berühmtes Fantasy-Epos im Breitwandformat. So viel Mensch allerdings ist gar nicht drin im »Ring«. Dafür umso mehr Götter, Riesen, Alben und Walküren. Völkerkundler vertreten die These, jedes Volk ticke so, wie es sich seine Götter denkt. Die Griechen ahmen ihren Oberhallodri Zeus nach, bei den Ägyptern blickte man nie durch, wen man gerade vor sich hatte, Mensch oder Schakal oder Käfer (Skarabäus), die Römer haben sich praktischerweise gleich selbst zu Göttern erklärt, siehe Näheres unter Augustus, und die Germanen, tja, wir Germanen sitzen halt gern beim ewigen Schweinebraten. In Walhall. Oder im Löwenbräu-Zelt. Am liebsten aber im Festspielhaus in Bayreuth. Wer sich jedoch an Wotans Tafel niederlassen will, muss sich einen Platz erkämpfen, denn warum sollte für das Völkchen der Wagnerianer anderes gelten als für die ollen Germanen. Da gibt es Demütigungen wie die gegenüber dem Zwerg Alberich, den die Götter gefesselt und geknebelt vorführen: Eva Wagner-Pasquier, eine von zwei Festspielchefinnen (noch), sollte von der Saisoneröffnung ausgeschlossen werden - Hügelverbot! Oder man steigt aus gültigen Verträgen aus, wie Wotan, der sich Walhall bauen ließ, die Maurer aber mit Haxe und Freibier abspeisen wollte: Jonathan Meese, der Nachtalbe der deutschen Kunst, wurde für den »Parsifal« eingekauft und wieder fallengelassen. Meese, nicht faul, hätte, wie es Siegfried mit Brünnhilde tut, die ganze Bayreuther Bande wachgeküsst, indem er, wenn man ihn gelassen hätte, die Oper »bundesgartenschaumäßig« (O-Ton) in eine riesige Blüte gepackt hätte. Christian Thielemann, der zur Eröffnung am Pult steht, singt seine Standardarie »Ich bin der Herr, dein Dirigent. Du sollst nicht andere Dirigenten haben neben mir. Jedenfalls keine großen«. Wie immer in B-Dur, jener Tonart, die laut Berlioz »noble mais sans éclat« ist: erhaben, aber ohne Glanz. Im Hintergrund stimmen Bayreuths Chefmäzen Georg von Waldenfels (»Hügelverbot? Stimmt gar nicht!«) und Eva Wagner-Pasquiers Anwalt Peter Raue (»Stimmt ja wohl!«) ein paar Dissonantseptakkorde an. Basso continuo: Petrenko, der poltert, er könne wegen der »würdelosen Vorgänge« die Brocken hinwerfen. Tut er dann aber doch nicht. Böse Zungen (Meese) behaupten, die Bayreuther kämpften mit Intrigen und Eifersüchteleien gegen die sinkende Relevanz der Festspiele an. Unsinn. Es geht immer um Richard Wagners Kunst. Aber klassische Musik muss man verkaufen können. Große Oper will inszeniert sein. Als Hauen und Stechen, noch bevor sich der Vorhang hebt. Darin ist Bayreuth wirklich unübertroffen.
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