"Der Staat muss Anwalt des Kindes sein"
Autor Manfred Karremann zu seinem ZDF-Film "Was geschah mit Karolina?"
Mainz (ots)
Mit der Dokumentation "Was geschah mit Karolina?" von Manfred Karremann und einer Hintergrunddiskussion unter der Leitung von Thomas Bellut greift das ZDF am Dienstag, 11. März 2008, ab 22.15 Uhr eines der aktuell meistdiskutierten gesellschaftlichen Themen auf: Gewalt gegen Kinder, Kindesmisshandlung und Vernachlässigung durch die eigenen Eltern, im schlimmsten Fall sogar bis zum Tod. Über seine Recherchen und seine Erkenntnisse äußerte sich der Autor Manfred Karremann in einem ausführlichen Interview, das unter http://pressetreff.zdf.de/Public/Download/InterviewKarremann.rtf abgerufen werden kann.
Einige Auszüge:
Was hat Sie an dem Fall Karolina interessiert?
Vieles am Verlauf dieser Tragödie ist typisch für die Entwicklung einer Kindesmisshandlung, auch wenn sie nicht immer so schrecklich endet wie bei Karolina. Das Ziel war, die typischen Muster herauszuarbeiten, die eine Misshandlung begünstigen. Und dabei nicht nur der Frage nachzugehen, wie konnte so etwas geschehen, sondern vor allem der Frage: Wie ist so etwas zu verhindern?
Wie ist es Ihnen gelungen, Zugang zu den Verurteilen zu bekommen?
Ich habe zuerst Kontakt mit der Familie von Karolina und der Mutter aufgenommen, dann auch mit der Familie und dem Anwalt des Täters Mehmet. Der Zugang zu den Familien ist nur durch Vertrauen gelungen, das auch bestätigt werden muss durch das, was letztlich entsteht. Voraussetzung war deren Einverständnis und die Einhaltung der Auflagen der zuständigen Behörden.
Haben die Täter Gefühle gezeigt, vielleicht gar Reue? Was war die Motivation der Mutter und des Stiefvaters, am Film mitzuwirken?
Bei den Tätern hat man gemerkt, dass sie bis heute nicht wirklich verstanden haben, wie das Furchtbare geschehen konnte, das sie getan oder im Fall der Mutter geduldet haben. Mehmet A. hat zwar gesagt, er mache sich jeden Tag Vorwürfe und könne nicht begreifen, dass er so etwas getan habe. In vier von fünf Stunden Interview hat er aber oft versucht, die Schuld auf Karolinas Mutter zu schieben, was auch zeigt, dass er noch nicht wirklich realisiert hat, was er dem Kind angetan hat. Das zeigte sich auch daran, dass er nie den Namen Karolina nannte, sondern immer von "Kind" oder "Dings" sprach.
Die Mutter von Karolina, Zaneta C., sagte, sie könne noch immer nicht verstehen, wie das passieren konnte. Sie weiß, dass bei Karolina nichts wiedergutzumachen ist und fragt sich, wie sie damit leben soll. Zugleich hat sie gesagt, sie könne vielleicht anderen Kindern ein solches Schicksal ersparen, wenn sie Menschen davon erzählt, wie schnell so etwas außer Kontrolle gerät.
Welche Erkenntnisse haben Sie im Verlauf Ihrer Recherchen gewonnen? Gibt es familiäre oder gesellschaftliche Bedingungen, die Kindesmisshandlung begünstigen?
Es hat sich am Schicksal von Karolina und vielen anderen gezeigt, dass es durchaus familiäre und gesellschaftliche Bedingungen gibt, die eine Misshandlung von Kindern begünstigen. Was körperliche Misshandlungen betrifft, sind zum Beispiel Vorbedingungen wie die Partnerkonstellation zwischen der Mutter und dem Lebensgefährten, deren Vorgeschichten, und auch die Lebenssituation, - keine Arbeit, kein Geld, Suchtmittel - und einiges mehr typisch. Am Verlauf der Misshandlung selbst ist typisch, dass die Betroffenen sich häufig isolieren und das Kind vor anderen Menschen mit Vorwänden verbergen.
Was kann die Gesellschaft bzw. jeder Einzelne tun, um Misshandlungen an Kindern zu verhindern?
Der Staat muss der Anwalt des Kindes sein, das Elternrecht muss auch in der Praxis immer nachrangig zum Kindeswohl sein. Wichtig ist aber sicher auch, dass Hilfsangebote und Maßnahmen zum Kinderschutz wie die Datei "Riskid" zum Beispiel flächendeckend zur Verfügung gestellt werden, nicht nur in einigen Großstädten. Wichtig ist auch, vom Strafgesetz her die Hemmschwelle für jene, die gewollt oder ungewollt zum Täter geworden sind, beim Gang mit dem Kind ins Krankenhaus oder zum Arzt so niedrig wie möglich zu halten, das heißt, hier keine Strafen vorzusehen. Wer Hilfe in Anspruch nimmt, und sei es auch schon Beratung wegen einer ständigen Demütigung des Kindes, sollte unterstützt werden. Im Gegenzug könnte das Strafmaß für jene, die ihr Kind misshandeln und Hilfe oder ärztliche Behandlung nicht in Anspruch nehmen, empfindlich hoch sein.
Fotos sind erhältlich über den ZDF-Bilderdienst, Telefon: 06131 - 706100, und über http://bilderdienst.zdf.de/presse/wasgeschahmitkarolina
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