Religiös motivierte Übergriffe auf 743 christliche Flüchtlinge
Open Doors und weitere Hilfsorganisationen stellen neuen Lagebericht vor
Berlin/Kelkheim (ots)
Religiös motivierte Übergriffe auf christliche Flüchtlinge in deutschen Asylunterkünften geschehen bundesweit. Dazu legen die Hilfsorganisationen AVC (Aktion für verfolgte Christen und Notleidende), EMG (Europäische Missionsgemeinschaft) sowie der ZOCD (Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland) und Open Doors bei einer Pressekonferenz in Berlin am 17.10. einen neuen Lagebericht vor. In diesem Rahmen veröffentlicht Open Doors auch die neue Erhebung "Mangelnder Schutz religiöser Minderheiten in Deutschland", die unter Mitwirkung der genannten Organisationen entstand. Dazu wurden im Zeitraum Mai bis September Gespräche mit hunderten Flüchtlingen im gesamten Bundesgebiet geführt. Neu dokumentiert wurden dabei religiös motivierte Übergriffe auf 512 christliche sowie 10 jesidische Flüchtlinge in deutschen Asylunterkünften. Die Hilfswerke appellieren - nach der Veröffentlichung des ersten Lageberichts am 9. Mai mit 231 erfassten Übergriffen - erneut an Politik und Behörden, wirksamen Schutz für christliche Flüchtlinge und Angehörige anderer religiöser Minderheiten zu gewährleisten.
"Ich habe nie erwartet, dass so etwas in Deutschland geschieht"
Viele der betroffenen Flüchtlinge haben bereits in ihren islamischen Herkunftsländern Verfolgung und Diskriminierung erlebt und sind deshalb nach Deutschland geflohen. Die in den Herkunftsländern vorherrschende Bedrängung erleben religiöse Minderheiten hier in den Flüchtlingsunterkünften eins zu eins wieder. Ein Flüchtling aus dem Iran, der in der Erhebung erfasst wurde, sah sich in seiner Unterkunft mit einem Schriftzug an der Wand konfrontiert: "Es ist Zeit, allen Christen den Kopf abzuschneiden." Der Fall ist aktenkundig.
Den Schock dabei beschreibt er - stellvertretend für zahlreiche weitere Betroffene - so: "Ich war erschrocken! Ich habe nie erwartet, dass so etwas in Deutschland geschieht. Im Iran geschieht so etwas schon. Das hat mein Vertrauen erschüttert."
Zahlen und Fakten - Mangelnder Schutz religiöser Minderheiten
Die an der Erhebung beteiligten Organisationen sprachen bereits nach dem ersten Lagebericht am 9. Mai von "der Spitze des Eisbergs". Die Vielzahl neu erfasster Übergriffe belegt ein bundesweites Problem, bei dem selbst die 743 betroffenen Flüchtlinge immer noch die Spitze des Eisbergs sind.
Von 743 Betroffenen berichten 617 (83%) von mehrfachen Übergriffen, 314 (42%) von Todesdrohungen, 416 (56%) von Körperverletzungen, 44 (6%) von sexuellen Übergriffen. Die Übergriffe gingen zu 91% (674) von muslimischen Mitflüchtlingen aus, zu 28% (205) von muslimischem Wachpersonal und zu 34% (254) von anderen Personen. Bei den Übergriffen waren oft auch mehrere Personen beteiligt. Mangelnde Hilfe seitens Wachdienste, Heimleitung sowie Behörden verschärfte nicht selten die Situation der Betroffenen.
De Maizière: "Wir haben die Bedeutung von Religion unterschätzt."
Die Berichte der betroffenen Flüchtlinge machen deutlich, dass die Übergriffe religiös motiviert sind. Die Täter fühlen sich geleitet oder getrieben von einem Wertesystem, das sie in ihren Herkunftsländern verinnerlicht haben und das für sie "göttliche Autorität" hat.
"Wir haben die Bedeutung von Religion unterschätzt", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Rahmen des "Zukunftskongresses Integration und Migration" am 20. September mit Rückblick auf die letzten Monate. Er weist in die richtige Richtung. Seine (Ein-)Sicht teilen jedoch noch zu wenige der verantwortlichen Politiker und Kirchenleiter. So schreibt eine staatliche Stelle auf Open Doors Nachfrage: "Es wird von allen Schutzsuchenden erwartet, dass sie unabhängig von ihrer Religion ... friedlich miteinander auskommen." Und weiter: "Die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit als hohes Gut steht Personen jeder Glaubensrichtung zu."
Aber: Flüchtlinge aus religiösen Minderheiten erleben in ihren Unterkünften vielfach nicht die Möglichkeit, sich angstfrei zu ihrem Glauben zu bekennen, bzw. werden mit Gewalt und Drohungen attackiert, wenn sie dies tun.
Positivbeispiel: Behörden und Heimleitung stellen Schutz her
In einer Erstaufnahmeeinrichtung wagten 32 christliche Flüchtlinge, von gewaltsamen Übergriffen und Morddrohungen gegen sie zu berichten, nachdem ihnen Mitarbeiter des Regierungspräsidiums, der Polizei und der Heimleitung Schutz zugesichert hatten. Den stellten Heimleitung und Behörden schließlich durch eine getrennte Unterbringung und die Zuordnung von Wachpersonal und Dolmetschern christlichen Glaubens sicher.
Appell an Bundesregierung und Warnung vor Instrumentalisierung der Erhebung
Die neue und erweiterte Erhebung gibt verantwortlichen Politikern und Kirchenleitern eine solide Bewertungsgrundlage an die Hand, um die dringend erforderlichen Schutzmaßnahmen zur Einhaltung der Menschenrechte in unserem Land genauso wie auch die Umsetzung der Aufnahmerichtlinie der EU (2013/33/EU vom 26. Juni 2013) zum Schutz aller Flüchtlinge - religiöse Minderheiten eingeschlossen - einzuleiten.
Der geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von Open Doors Deutschland, Markus Rode sagt: "Wer die Ergebnisse dieser neuen Erhebung für politische Zwecke oder für die eigene Profilierung missbraucht, wer hier eine pauschale Verurteilung von Muslimen hineinlesen möchte, handelt politisch und gesellschaftlich unverantwortlich. Unsere Geschichte lehrt uns, nie wieder Bedrängung und Diskriminierung von Minderheiten zugunsten der Täter zu ignorieren. Deshalb geht unser Appell zuerst an die Bundeskanzlerin, hier tätig zu werden und dieses Thema nicht nur den Bundesländern zu überlassen."
Die Forderungen der Organisationen an die Regierung sowie ausführliche Analysen sind in der Erhebung nachzulesen: https://www.opendoors.de/fluechtlingsbericht (Download)
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