Wir brauchen das Christentum
Berlin (ots)
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich in der Samstagsausgabe der Welt zur Bedeutung des Christentums in der Welt geäußert. Der Beitrag hat folgenden Wortlaut:
Zu Pfingsten erinnern sich die Christen auch an die Geburt der Kirche. Erfasst vom Heiligen Geist begannen die Jünger Jesu, die christliche Botschaft zu verkünden. Ihre Worte sollten in den nächsten Jahrhunderten die Welt verändern. Auch unsere Heimat wurde, wie ganz Europa, christlich geprägt.
Gerade zu Pfingsten kann man sich daher sehr gut einmal die Frage stellen, wie es um die Bedeutung des Christentums in unserer Gesellschaft steht. Ist Deutschland ein christliches Land? Welchen Kitt verleihen die christlichen Werte unserer Gesellschaft? Brauchen wir eine stärkere Rückbesinnung auf christliche Werte?
Zu Ostern provozierte der englische Premierminister David Cameron mit ähnlichen Fragen eine heftige Diskussion in England. Er bejahte als Regierungschef einer Königin, die gleichzeitig Oberhaupt einer Staatskirche ist, die Aussage, dass für ihn Großbritannien immer noch ein christliches Land sei. Die Folge war eine Welle des Protestes.
War Camerons Aussage unvernünftig?
Zahlreiche namhafte Geistesgrößen kritisierten ihn in einem offenen Brief und unterstrichen die Vorzüge eines Verzichtes auf Religion. Andere empörten sich angesichts der mit dem Bekenntnis zum Christentum offenkundigen Ausgrenzung der neuen und selbstbewussten Religionsgemeinschaften, die im Vereinigten Königreich mittlerweile heimisch geworden sind. Aufgrund eines allgemeinen deutlichen Kopfschüttelns schränkte Cameron seine Aussage schnell ein. War sie tatsächlich unvernünftig, war sie unzeitgemäß oder doch mutig?
Nun ist Deutschland gerade in dieser Hinsicht nur schwer mit Großbritannien vergleichbar. Anders als dort sind bei uns als Folge der französischen Revolution Staat und Kirche letztlich getrennt. In Deutschland herrscht keine Staatsreligion, wie dies der Islam in vielen Ländern der arabischen Welt ist. Deutschland ist ein säkulares Land, trotz der vertraglichen Verbindungen zwischen Staat und den großen Kirchen.
Die freie Religionsausübung wird gewährt. Der Staat hat sich aus Glaubensfragen herauszuhalten. Artikel 4 unseres Grundgesetzes formuliert das mit prägnanter Klarheit: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."
Eine geistige Grundlage unserer Gesellschaft
Das heißt im Umkehrschluss aber eben auch: Deutschland ist kein christlicher Staat. Dennoch ist die christliche Botschaft eine geistige Grundlage unserer Gesellschaft. Und vor allem sollte sich diese Gesellschaft dieser mehr vergewissern.
Ein genauer Blick lohnt sich, um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, der bereits so alt ist wie die Bundesrepublik selbst. Schon mit dem Gottesbezug in der Präambel drückt unser Grundgesetz aus, dass jenseits des gesetzten Rechts die Menschen durch eine andere Instanz geleitet werden. Dietrich Bonhoeffer hat dies in seiner "Ethik" einmal so formuliert, dass wir hier auf Erden immer nur die vorletzten Dinge regeln. Die letzten Dinge werden von Gott bestimmt.
Mit dem Gottesbezug will sich das Grundgesetz klar absetzen von der Barbarei der Nationalsozialisten, die ein zutiefst menschenfeindliches und vollkommen gottloses Regime entfesselt hatten - es soll eine dauerhafte Schranke zwischen dieser Barbarei und dem neuen Deutschland errichten. Die Präambel mit dem Gottesbezug beschreibt einen transzendenten Bezugsrahmen, in dem sich der Staat bewegt. Die Präambel weist darauf hin, dass das staatliche Recht nicht alles ist, was eine Gesellschaft ausmacht.
Die Gesellschaft benötigt einen Wertekonsens
Aber gehen wir einen Schritt weiter: Das Grundgesetz ist eine Verfassung der Freiheit. Unsere Verfassung verleiht den Bürgern umfassende Freiheitsrechte. Dennoch benötigt eine Gesellschaft einen Wertekonsens, der sie im Inneren zusammenhält. Der Staat kann in diesen Wertediskurs nur bedingt eingreifen, will er die Freiheitsgarantie nicht gefährden.
Würde er dies tun, wäre er wieder auf dem Weg zum totalitären Staat. Der spätere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dies bereits in den 60er Jahren in dem berühmt gewordenen Satz zusammengefasst: "Der freiheitliche, säkulare Staat ist von Voraussetzungen abhängig, die er selbst nicht garantieren oder schaffen kann."
Über Böckenfördes These ist viel diskutiert worden. Auch darüber, ob er vielleicht zu einseitig die christliche Ethik als moralische Grundlage des gesellschaftlichen Lebens im Blick hatte. Man braucht dies nicht zu entscheiden. Aber die christliche Lehre taugt nach meiner Überzeugung auch heute für die Sinnstiftung einer Gesellschaft, in die sicher mit zunehmender Zeit auch die Vorstellungen anderer Religionen berechtigterweise einfließen werden, weil immer mehr Menschen mit Wurzeln aus anderen Kulturen in unserem Land leben.
Deutschland steht in christlich-jüdischer Tradition
Jede Gesellschaft baut auf einem historischen Fundament auf. Keine Nation kann ihrer Geschichte entfliehen. Ein Land ist nur aus seiner Geschichte zu verstehen. Die Bürger können ihr Land nur begreifen, wenn sie um dessen Historie wissen. Daher gehört zu unserem Selbstverständnis die schlichte Einsicht, dass Deutschland in einer christlich-jüdischen Tradition steht. Und diese beeinflusst natürlich nach wie vor die Werte unseres Landes.
Das Bundesverfassungsgericht hat dies in einer Urteilsbegründung 1995 ganz anschaulich erläutert. Ein Staat, der die Religions- und Glaubensfreiheit umfassend gewährleiste und so dem Prinzip einer weltanschaulichen Neutralität verpflichtet sei, könne dennoch die kulturell vermittelten und verwurzelten Wertüberzeugungen "nicht abstreifen".
Auf ihnen beruhe mithin der gesellschaftliche Zusammenhalt. "Die auf christliche Traditionen zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein." Nicht, weil sie christlich seien, sondern weil sie Werte begründen. Das Bundesverfassungsgericht bringt es auf den Punkt: Die Bundesrepublik ist weltanschaulich neutral, aber nicht wertneutral.
Religionen bieten Halt, Hilfe und Hoffnung
Ich finde, es ist an der Zeit, dass sich unser Land der christlich-abendländischen Tradition wieder etwas stärker besinnt. Ich formuliere dies bewusst in Respekt vor den anderen Religionen. Auch sie tragen zum Werteverständnis in unserer Gesellschaft bei und werden dies in Zukunft immer stärker tun, ohne Zweifel. Religionen besitzen diese Kraft.
Der umstrittene Theologe Hans Küng hat dazu einmal durchaus richtig sogar in Richtung einer guten Weltordnung formuliert: "Gewiss, Religionen waren und sind immer in Versuchung, zum Zwecke des Machterhalts ... um sich selber zu kreisen. Und doch vermögen sie, wo sie wollen, mit noch anderer Kraft als viele internationale Organisationen der Welt glaubwürdig zu machen, dass es ihnen um das Wohl der Menschen geht."
Sie böten Halt, Hilfe und Hoffnung. Die Religionen und ihre Einrichtungen unterstützen die Menschen in unserem Land praktisch. Die Kirchen engagieren sich in der sozialen und caritativen Arbeit. Sie helfen Menschen in Not. Sie tragen zur medizinischen Versorgung bei. Aus der Kindererziehung, der Pflege von behinderten und alten Menschen sind kirchliche Einrichtungen nicht wegzudenken.
Die christliche Lehre hat dieses Land geprägt
Da die Gesellschaft in Deutschland den Kirchen also viel verdankt, liegt es übrigens aus meiner Sicht auf der Hand, dass wir uns für den Fortbestand des bewährten Staatskirchenrechts einsetzen. Das ist übrigens auch Konsens in der großen Koalition.
Ein so unmittelbarer Dienst am Menschen festigt eine Gesellschaft. Aber es sind auch vor allem die Religionen, die darüber hinaus seit Jahrhunderten versuchen, die Antworten auf die letzten Fragen des Lebens zu geben. Woher komme ich? Was ist der Sinn meines Lebens? Was geschieht mit mir nach meinem Tod?
Bei aller Toleranz gegenüber anderen Religionen kann ich auch nichts Verwerfliches darin sehen, gerade in der christlichen Lehre Antworten auf diese Fragen zu suchen, die unsere Gesellschaft bewegen. Diese Religion hat uns geprägt. Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind Mitglieder der christlichen Kirchen. Auch darüber sollte man einmal nachdenken - und nicht allein immer nur über die angeblich leeren Gotteshäuser. Es gibt an den Sonntagen auch gefüllte Kirchen!
Muss ein Staat auch seine Feinde lieben?
Die Fragen, die die Gesellschaft jenseits der staatlichen Normierung beschäftigen, sind auch die Fragen, die uns Christen seit Jahrhunderten umtreiben: Wie ist das Verhältnis von Freiheit und Solidarität? Wie gehen wir mit der Verteilung der materiellen Güter um? Darf ein Staat zur Sicherung des Friedens Gewalt anwenden, oder muss er auch seine Feinde lieben? Darüber wird im Christentum seit Jahrhunderten gestritten. Es gibt oft keine abschließenden Antworten. Aber man findet in der christlichen Ethik sicherlich Orientierung.
Über solche Grundsatzfragen sollte mehr diskutiert werden - in den Medien, gerade in den unzähligen Talk-Shows unseres Fernsehens. Warum sollte man sich nicht einmal mit diesen Grundfragen menschlichen Lebens und Zusammenlebens intensiver beschäftigen, in Zeiten, in denen der Einzelne immer mehr glaubt, dass nur seine Auffassung die einzig richtige ist? Wir brauchen mehr Tiefe in unseren Debatten.
Ein Beispiel: In den nächsten Monaten werden wir im Bundestag über die Frage der Sterbehilfe debattieren. Welche Position man hier einnimmt, hängt dabei maßgeblich davon ab, welchem Bild vom Menschen man folgt. Die Christen betrachten ihn als Geschöpf Gottes, ja als nach dem Bilde Gottes geformt. Das ist wahrlich ein starker Bezug. Der Mensch als Ebenbild Gottes! Wer sich dem anschließt, der muss die organisierte Sterbehilfe einfach unter Strafe stellen. Ein anderes Ergebnis ist unter dieser Prämisse praktisch nicht vorstellbar. Denn wer kann es dann wirklich dulden, dass jemand organisierte Hilfe leistet, Leben zu zerstören?
Politik aufgrund eines christlichen Menschenbildes
Wer den Menschen als Gottes Geschöpf ansieht, der wird aus dem Schutz der Würde des Lebens am Ende der menschlichen Existenz aber einen anderen zwingenden Schluss ziehen müssen. Er wird sich zu bemühen haben, dem Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Nicht durch die Hand eines anderen, sondern an der Hand eines anderen sollen Menschen würdevoll sterben können. Wer so denkt, wird sich im Bundestag dann für eine weitere Stärkung der Hospizbewegung einsetzen.
Auch wenn es immer wieder behauptet wird: Als Union betreiben wir keine christliche Politik. CDU und CSU sind keine Parteien, die die Bibel in praktische Politik umsetzen. Dies ist nicht möglich. Wohl aber machen wir Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes. Dieses Menschenbild, das seit der Aufklärung vor allem den Einzelnen, jenseits des Kollektivs, kennt, gibt uns eine wertvolle Orientierung, die das Christentum auch heute für die Gesellschaft bieten soll und kann.
Denn der Mensch ist, wie es im Galaterbrief heißt, zur Freiheit befreit und zur Liebe am Nächsten berufen. Die christliche Lehre ist - auch gemeinsam mit denen anderer Religionen - es wert, dass sich wieder mehr mit ihnen auseinandergesetzt wird. Deutschland ist kein christlicher Staat, aber ein Land mit historischer und aktueller christlicher Prägung. Dem sollten wir uns wieder mehr zuwenden.
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