CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Merz: Uneingeschränkte Solidarität wird
jetzt konkret
Berlin (ots)
In der heutigen Debatte zur "Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus; Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsvertrages der Vereinten Nationen" führt der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz MdB, u. a. folgendes aus:
Sperrfrist: Beginn der Rede.
Es gilt das gesprochene Wort.
Am 19. September, wenige Tage nach den Terroranschlägen von New York und Washington, haben wir mit großer Mehrheit im Deutschen Bundestag dem amerikanischen Volk unsere uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus zugesagt.
In dieser und in der nächsten Woche steht für Deutschland die Antwort auf die Frage an, ob den Worten von der uneingeschränkten Solidarität auch Taten folgen, ob wir bereit sind, Risiken und Gefahren bei der Bekämpfung des internationalen Terrors mitzutragen. Eine so weitreichende Entscheidung ist von uns bisher noch nie gefordert worden.
Wir sind dabei, tiefgreifende Erfahrungen zu verarbeiten und bisherige Haltungen zu überdenken und zu verändern. Dies betrifft die Innenpolitik, dies betrifft aber auch die Außenpolitik unseres Landes. Auch für uns hat der 11. September mit seinen Folgen eine geschichtliche Dimension, mehr vielleicht als für andere europäische Länder.
Die Bilder des zusammenstürzenden World Trade Center haben überall in der Welt einen Schock ausgelöst. Als sich herausstellte, dass einige der Terroristen auch in unserem Land gelebt haben, dass sie in wesentlichen Teilen von Deutschland aus die Anschläge vorbereitet haben, spätestens in diesem Augenblick war uns klar, dass auch unsere freie, tolerante, weltoffene Gesellschaft sehr angreifbar und verletzlich ist.
Wir haben wiederholt festgestellt, dass die Terrorangriffe nicht nur gegen die USA gerichtet waren. Wir sind uns bewusst geworden: Es hätte genauso Paris oder Frankfurt, London oder Berlin treffen können.
Diese Erkenntnis verbindet uns mit Amerika. Sie verbindet uns in der NATO, diese Erkenntnis ist Grundlage der internationalen Allianz gegen den Terror.
Der Wille zur Verteidigung der Freiheit ist die Grundlage der von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zitierten Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Die Feststellung des Bündnisfalles in der NATO, das Recht zur Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen sind die unbezweifelbare völkerrechtliche Grundlage für den seit dem 07.Oktober auch mit militärischen Mitteln geführten Kampf gegen den Terrorismus.
Wir dürfen heute keinen Zweifel daran lassen, dass Deutschland auch seinen militärischen Beitrag leisten muss, um diesen Kampf erfolgreich zu bestehen.
Neu für uns ist, dass der Einsatz so fern ab von Deutschland notwendig sein soll. Wir müssen uns klar darüber sein, dass die geographische Entfernung in der Welt des 21. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr hat. Die Globalisierung bringt nicht nur große wirtschaftliche Vorteile, sie bedeutet auch globale Verantwortung in der Gemeinschaft zivilisierter Völker.
Neu für uns ist, dass uns die Reaktion nicht aufgezwungen wird wie ein unabänderliches Schicksal, sondern dass wir in eigener Souveränität entscheiden müssen.
Es gibt aber nur scheinbar die Alternative, sich herauszuhalten und die anderen, die sich sowieso schon entschieden haben, die Wege weiter gehen zu lassen. Mit klarem Verstand müssen wir uns sagen, dass ein deutscher Sonderweg, ein Sich-Heraushalten in unserer Welt eine Illusion ist. Deutschland trägt Verantwortung, wie andere Staaten dieser Welt auch.
Ich möchte für die CDU/CSU-Fraktion des deutschen Bundestages daher zunächst feststellen: Wir sind der festen Überzeugung, dass es richtig ist, den Amerikanern und allen anderen Nationen der Anti-Terrorallianz auch mit militärischen Mittel im Kampf gegen den Terrorismus beizustehen.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben, Einheiten der Bundeswehr zu entsenden, um mitzuhelfen, die terroristischen Strukturen zu zerschlagen.
Wir tun dies, weil wir den Vereinigten Staaten von Amerika die Freiheit und ganz wesentlich auch die Einheit unseres Landes verdanken. Sie, Herr Bundeskanzler, haben dies zu Recht betont.
Aber der Dank an Amerika allein ist es nicht. Genauso wichtig ist, dass die deutsche Beteiligung am militärischen Einsatz gegen den Terrorismus in unserem ganz eigenen Interesse liegt.
Gestern sind Irritationen darüber entstanden, ob die amerikanische Regierung konkret deutsche Einheiten angefordert hat oder ob die Bundesregierung von sich aus tätig geworden ist. Ich kann nur hoffen, Herr Bundeskanzler, dass Sie nach Konsultationen mit der amerikanischen nicht nur auf deren Anforderungen reagiert haben, sondern in der Tat selbst die Initiative ergriffen haben, denn nur dann ist die Begründung, im Interesse des eigenen Landes zu handeln, auch wirklich glaubhaft. Für uns, für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion brauchen Sie sich jedenfalls hinter einer amerikanischen Anforderung nicht verstecken!
Zu unserem eigenen Interesse zählt auch, dass wir ernsthaft und gewissenhaft abwägen, ob wir es verantworten können, die Soldaten der Bundeswehr in diesen Einsatz zu schicken, ohne Zweifel den gefährlichsten, den die Bundeswehr je zu bestehen hatte.
Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, dass Sie und Ihre Regierung, insbesondere der Verteidigungsminister, nur dann den konkreten Einsatz beschließen, wenn zuvor alles getan wurde, um unsere Soldaten optimal auf den Einsatz vorzubereiten und sie im Einsatz zu schützen. Wir fordern Sie und Ihre Regierung seit drei Jahren aus leider immer dringlicher werdendem Anlass auf, mehr für die Bundeswehr zu tun. Sie haben die Bundeswehr in der Ausrüstung in den letzten drei Jahren so stark vernachlässigt, dass ihre Einsatz- und Bündnisfähigkeit nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet ist. Wenn Sie Soldaten der Bundeswehr jetzt in einen Einsatz schicken, der schwieriger und gefährlicher ist als alle vorangegangenen in den letzten 10 Jahren, dann erwarten die Soldaten und deren Familien von Ihnen, Herr Bundeskanzler, dass Sie in der Verantwortung Ihres Amtes und der Entscheidung Ihrer Regierung vom gestrigen Tag alles, wirklich alles tun und getan haben, um die Soldaten im Einsatz vor Gefahren aus unzureichender Ausbildung oder Ausrüstung zu bewahren. Diese Verantwortung, Herr Bundeskanzler, tragen Sie auch nach einem zustimmenden Parlamentsbeschluss, diese Verantwortung nimmt Ihnen das Parlament nicht ab.
Die Lage in und um Afghanistan ist sehr viel unübersichtlicher und schwieriger als bei allen anderen Einsätzen der Bundeswehr zuvor. Es ist deswegen völlig selbstverständlich, dass der Deutsche Bundestag nicht an die Stelle der politischen und militärischen Führung der eingesetzten Streitkräfte tritt. Wir können daher Einzelheiten der tatsächlich eingesetzten Soldaten, der Einsatzzeitpunkte, der Einsatzorte und der Einsatzziele nicht festlegen. Dies kann auch die Bundesregierung heute noch nicht. Zum Teil dürfen die Einsätze aus Gründen des Schutzes der Soldaten auch überhaupt nicht oder erst nach vollständigem Abschluss des Einsatzes bekannt werden.
Deshalb enthält der Beschluss des Bundeskabinetts vom gestrigen Tag richtigerweise einen großen Handlungsspielraum für den Einsatz deutscher Soldaten. Dieser notwendige Handlungsspielraum der Bundesregierung darf aber Sinn und Zweck des von unserer Verfassung gebotenen Parlamentsvorbehalts bei sich möglicherweise verändernden Umständen nicht in Frage stellen. Wir sprechen uns deshalb nachdrücklich dafür aus, dass die Zustimmung des Bundestages nicht für 12 Monate, sondern nur für 6 Monate erteilt wird.
Die Größe des Einsatzes, die territoriale Ausdehnung des Einsatzgebietes und die Dimension der Aufgabe, die es zu verantworten gilt, erfordern eine angemessene Möglichkeit der Überprüfung unserer Zustimmung, die die Bundesregierung in der nächsten Woche erhalten soll. Diese Überprüfung muss durch den Bundestag selbst erfolgen können. Für uns gibt es deshalb zur Dauer des Mandats Beratungsbedarf in den Ausschüssen des Parlaments.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal auf die humanitäre Katastrophe in Afghanistan selbst zu sprechen kommen. Das furchtbare Schicksal der Menschen in Afghanistan, das jetzt in vielen Fernsehbildern wieder gezeigt wird, ist nicht die Folge der militärischen Schläge gegen das Taliban-Regime, sondern ist das menschenverachtende Taliban-Regime selbst.
In den zurückliegenden 10 Jahren sind bereits vier Millionen Menschen aus Afghanistan geflohen und 300.000 Kinder verhungert. Westliche Hilfseinrichtungen werden von den Taliban systematisch behindert, bedroht und aus dem Land gejagt.
Bis heute weigern sich die Machthaber im Süden des Landes, Flüchtlingslager des Roten Kreuzes an der pakistanischen Grenze zu ermöglichen. Und deshalb sei auch dies noch einmal klargestellt: Wir führen keinen "Krieg gegen Afghanistan" - wir bekämpfen Terroristen und ein unmenschliches, menschenverachtendes Regime, das sie deckt.
So hat der britische Außenminister vollkommen Recht mit seiner Feststellung, dass eine Feuerpause das Leiden des afghanischen Volkes nur verlängern würde.
Je schneller dieses unmenschliche Regime der Taliban gestürzt wird, umso besser für das afghanische Volk.
Es ist die Aufgabe der Allianz wie auch der übrigen Staaten der internationalen Gemeinschaft, gleichzeitig durch humanitäre Hilfe das Leid des afghanischen Volkes zu lindern.
Wir begrüßen deshalb sehr die Initiative der Vereinten Nationen, die zum Wintereinbruch von einer Hungerkatastrophe bedrohten Bevölkerung im Norden Afghanistans mit Lebensmittellieferungen zu versorgen.
Unser Dank und unsere Anerkennung gilt allen Hilfsorganisationen wie etwa der deutschen Caritas, die schon heute humanitäre Hilfe leisten. Nach Beendigung der militärischen Aktionen muss die internationale Hilfe verstärkt werden. Und auch dann, Herr Bundeskanzler, müssen Ihren Worten Taten folgen, wenn die deutsche Politik glaubwürdig sein soll - im Inland, aber auch denen gegenüber, die unsere Hilfe jetzt besonders brauchen.
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