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UNHCR: Lubbers zur EU-Asylharmonisierung
Lubbers: EU-Asylregelungen dürfen nicht gegen internationales Recht verstoßen

Berlin (ots)

UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers hat heute
seine große Besorgnis über zwei Kernstücke der geplanten
EU-Asylgesetzgebung ausgedrückt. Seine Warnung gilt mehreren
Bestimmungen in den beiden vorliegenden Entwürfen, die gegen
internationale Rechtsstandards verstoßen würden. Lubbers sagte, sie
könnten zu einer Erosion des globalen Asylsystems führen und damit
das Leben zukünftiger Flüchtlinge gefährden.
Über die zwei Richtlinienentwürfe - die beiden letzten von fünf
wichtigen Rechtsinstrumenten, mit denen das EU-Asylrecht harmonisiert
werden soll - wird morgen (Dienstag) beim Treffen der EU-Innen- und
Justizminister in Brüssel verhandelt. Sie sollen noch rechtzeitig vor
der EU-Erweiterung am 1. Mai verabschiedet werden.
"Die Zahl der Asylsuchenden in der Europäischen Union ist auf den
Stand der 80er Jahre zurückgefallen", hob Lubbers hervor. "Wir können
das Asylsystem verbessern, indem wir uns auf eine bessere
Lastenteilung innerhalb der EU konzentrieren", sagte er. "Soll es bei
niedrigen Asylbewerberzahlen bleiben, ist es wichtig, größere
Anstrengungen und Ressourcen in jenen Regionen zu investieren, aus
denen die Flüchtlinge kommen. Hier gibt es bereits einige
Fortschritte. Es ist nicht notwendig, einseitig auf Abschreckung und
eine Verschlechterung der Standards zu setzen oder auf den Versuch,
so vielen Menschen wie möglich Schutz zu verweigern und dabei die
Belastungen anderen, ärmeren und weniger hierfür gerüsteten Staaten
aufzubürden".
In einem mit zwei Noten versehenen Schreiben an den irischen
Premierminister Bertie Ahern hat Lubbers die wesentlichen Bedenken
von UNHCR zusammengefasst. Sie betreffen zum einen die so genannte
Qualifikationsrichtlinie, die definiert, wer als Flüchtling anerkannt
wird und wer unter den so genannten subsidiären Schutz fällt (u.a.
Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, die nicht individuell verfolgt
werden) sowie den Entwurf einer Asylverfahrensrichtlinie, die
Regelungen dafür vorsieht, wie es zu der Entscheidung im Einzelfall
kommt.
Die Besorgnis von UNHCR gilt dabei einer Reihe von Punkten. Dazu
gehört der Vorschlag zur Anwendung des Konzepts so genannter
"sicherer Drittstaaten", nach dem Asylsuchende in einen anderen Staat
zurückgeschickt werden können, wenn dieser als "sicher" bezeichnet
wird. Die UN-Organisation kritisiert weit reichende
Ausnahmeregelungen, die es bestimmten Asylsuchenden unmöglich macht,
überhaupt Zugang zu einem Verfahren zu haben. Dabei werde die
Möglichkeit außer Acht gelassen, dass ein Staat, der allgemein als
sicher betrachtet werde, im individuellen Fall dennoch nicht sicher
für die Betroffenen sein könne. Hierdurch entstehe eine reale Gefahr
des indirekten Refoulement (erzwungene Rückkehr) von Flüchtlingen in
ihr Heimatland, wo ihnen möglicherweise Verfolgung droht. Dies
bedeute "einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und
andere internationale Menschenrechtsinstrumente".
In diesem Zusammenhang kritisiert UNHCR auch jene Kriterien als
"minimalistisch", die bestimmen, wann ein Staat als "sicher" zu
gelten habe. Ihre Anwendung könne dazu führen, Asylsuchende in
Staaten zurückzuschicken, die nicht einmal grundlegende
Menschenrechtsstandards einhielten und in denen es keinerlei
Garantien gebe, dass ihre Anträge fair und effizient geprüft würden.
Dies könne zu einer effektiven Missachtung internationalen Rechts -
dem Recht, Asyl zu suchen - führen.
Darüber hinaus könnten jene Regelungen ebenfalls gegen
internationales Recht verstoßen, die sich auf die
Überprüfungsmöglichkeiten von Asylentscheidungen beziehen. Nach dem
derzeit vorliegenden Entwurf würde die große Mehrheit jener
abgelehnten Asylsuchenden, die eine Überprüfung eines negativen
Entscheids beantragen, nicht in der EU bleiben können, bis über ihren
Antrag entschieden worden ist - trotz der Tatsache, dass in mehreren
europäischen Staaten 30-60 Prozent der zunächst negativen
Entscheidungen durch die Überprüfungsinstanz aufgehoben wird.
Der Entwurf zur Asylverfahrensrichtlinie enthält eine lange Liste
von weit reichenden Ausnahmeregelungen von dem Prinzip, Asylsuchende
im Land den Aufenthalt zu ermöglichen, bis abschließend über ihren
Antrag entschieden worden ist. Diese Ausnahmen beziehen sich in
keiner Weise auf die Gründe eines Asylgesuchs. Sie sind formaler
Natur oder leiten sich aus dem Verhalten des Asylsuchenden ab.
"Asylsuchende können noch vor der abschließenden Entscheidung über
ihren Antrag gezwungen werden, das Land zu verlassen, z.B. wenn sie
interniert worden sind oder wenn sie ihren Asylantrag nicht
rechtzeitig gestellt haben. Solche Regelungen könnten Flüchtlinge
treffen, die traumatisiert oder über den Ablauf eines Asylverfahrens
nicht ausreichend informiert sind".
"Im Endeffekt werden diese vorgeschlagenen Maßnahmen nach
Auffassung von UNHCR dazu führen, dass die EU das Risiko vergrößert,
tatsächlich schutzbedürftige Flüchtlinge in ihre Heimatländer
abzuschieben", sagte Lubbers am Montag. "Es wird schwierig sein, dies
nachzuvollziehen, weil die Zwangsrückführung durch mehrere Staaten
erfolgen könnte. Auch nur einen Menschen der Folter auszuliefern,
wäre einer zuviel".
UNHCR erhebt auch eine Reihe von Einwänden gegenüber dem
vorliegenden Entwurf der Qualifikationsrichtlinie. Dies gilt z.B. für
den Vorschlag, den Begriff "ernsthafter Schaden" erheblich
einzugrenzen (und damit den Kreis jener, die sich erfolgreich auf
internationalen Schutz berufen können). Dieses Vorhaben könnte dazu
führen, dass Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, von jeglicher
Form internationalen Schutzes ausgeschlossen werden.
Lubbers sagte, einige EU-Staaten seien anscheinend daran
interessiert, ihre eigenen restriktivsten und umstrittensten
Praktiken auf alle zukünftigen 25 Mitgliedstaaten zu übertragen. "In
einigen Fällen", sagte er am Montag, "seien diese Praktiken noch
nicht einmal in die eigene nationale Gesetzgebung eingeflossen oder
diese würden derzeit von Gerichten überprüft. Dennoch versuchen sie,
diese Regelungen auf EU-Ebene durchzudrücken".
Lubbers erklärte ferner, falls die EU die Richtlinien in ihrer
derzeitigen Form verabschieden würde, wäre dies für andere Teile der
Welt ein negatives Vorbild. Dort würde dies als Versuch gewertet, die
Belastungen auf die Entwicklungsländer abzuschieben, die bereits die
große Mehrheit der Flüchtlinge aufnehmen. "Dies könnte einen
Domino-Effekt auslösen, der den Schutz von Flüchtlingen weltweit
schwächt", sagte er. "Andere Staaten werden auf die EU schauen und
erklären: "Wenn sie so handeln, können wir dies auch".
"Wir müssen uns an die ursprünglichen Intentionen des
Harmonisierungsprozesses erinnern. Es sollte ein gemeinsames
europäisches Asylsystem entstehen, das sich begründet - und hier
zitiere ich die Beschlüsse des EU-Gipfels von Tampere - 'auf der
absoluten Achtung vor dem Recht Asyl zu suchen' und der
'vollständigen und umfassenden Anwendung' der Genfer
Flüchtlingskonvention. Wir müssen diesen Geist wieder beleben".
"Europa sollte stolz sein auf seine Asyltradition, aufgrund derer
viele Menschenleben gerettet wurden", fügte Lubbers hinzu. "Die Zahl
der Asylsuchenden geht zurück. Wir arbeiten intensiv daran, Lösungen
zu finden und die Bedingungen in den Herkunftsregionen der
Schutzsuchenden zu verbessern. Wir sehen die Erfolge einer solchen
humanen Politik und deren positive Auswirkungen auf die Zahl der
Asylsuchenden. Es wäre wirklich bedauerlich, wenn Europa zu diesem
Zeitpunkt die große Tradition unterlaufen würde, Flüchtlinge zu
schützen".

Pressekontakt:

Stefan Telöken
UNHCR Deutschland
Telefon: 030/202202-26/10
Telefax: 030/202202-23

Original-Content von: UNHCR Deutschland, übermittelt durch news aktuell

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