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Öffnung der DMP für Risikopatienten: AOK warnt vor schlechterer Versorgung chronisch Kranker und Überlastung der Arztpraxen

Berlin (ots)

Die AOK warnt vor einer Verschlechterung der Versorgung für die 7,4 Millionen aktuell in die Disease-Management-Programme (DMP) der gesetzlichen Krankenkassen eingeschriebenen chronisch Kranken und vor einer Überlastung der Arztpraxen durch das geplante "Gesundes-Herz-Gesetz" (GHG). Im Vorfeld des geplanten Kabinettsbeschlusses zum GHG weist der AOK-Bundesverband auf den immensen zusätzlichen Aufwand durch die im Referentenentwurf vorgesehene Öffnung der bestehenden Programme für Risikopatienten hin. Laut einer Folgenabschätzung auf Basis epidemiologischer Daten wären 34 Millionen zusätzliche DMP-Teilnahmen möglich; die zusätzliche Belastung der Hausärzte würde sich auf 32 Arbeitstage und die Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen nach einer Hochlaufphase von fünf Jahren auf zusätzliche 3,8 Milliarden Euro pro Jahr summieren.

Die Grundintention der seit mehr als 20 Jahren bewährten und breit genutzten Chronikerprogramme, die auf Basis wissenschaftlicher Evidenz die Entstehung von Folge- und Begleiterkrankungen bei chronisch kranken Menschen nachweislich erfolgreich verhindern und eine strukturierte Behandlung dieser vulnerablen Patientengruppe gewährleisten, werde mit den aktuellen GHG-Plänen auf den Kopf gestellt, betont die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann. "Durch die Erweiterung der DMP-Zielgruppen und die geplante Absenkung der Qualitätsanforderungen wie beispielsweise den Verzicht auf verpflichtende Patientenschulungen befürchten wir eine Verwässerung der bestehenden DMP, in denen insbesondere die Hausärztinnen und Hausärzte nach klaren, vom Gemeinsamen Bundesausschuss definierten Regeln und auf Basis der aktuellen Studienlage hervorragende Arbeit leisten", so Reimann. Mit den GHG-Regelungsvorschlägen drohe dagegen eine Pathologisierung und Überversorgung bei vielen Menschen mit Risikofaktoren, die im Rahmen der Regelversorgung und mit den bestehenden Vorsorgeuntersuchungen schon heute meist adäquat versorgt werden. Die im Gesetzentwurf geplante Öffnung der DMP für Patienten mit einem hohen Risiko für eine chronische Erkrankung und die Einführung eines sogenannten "Präventions-DMP" für Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung könnten zudem zu einer immensen zusätzlichen Belastung insbesondere der Hausarztpraxen führen. "Dadurch droht eine Verschiebung des Fokus weg von den tatsächlich erkrankten Menschen, die auf eine gute Versorgung angewiesen sind", so Reimann. Angesichts begrenzter ärztlicher Ressourcen, die durch den Nachwuchsmangel im hausärztlichen Bereich in Zukunft noch knapper werden dürften, seien solche gar nicht einlösbaren Leistungsversprechen "schlicht absurd".

Kosten von 3,8 Milliarden Euro nach fünfjähriger Hochlaufphase

In einer Folgeabschätzung auf Basis von epidemiologischen Daten, AOK-Abrechnungsdaten und den heutigen Kosten pro DMP-Teilnehmenden hat der AOK-Bundesverband die maximal zu erwartenden Aufwände und Kosten, die im Referentenentwurf komplett ausgeblendet werden, erstmals konkret beziffert. Danach wäre bei konsequenter Umsetzung der Pläne, die auch Mehrfach-Einschreibungen ermöglichen, wären am Ende maximal 34 Millionen zusätzliche DMP-Teilnahmen möglich. Bei zehn Minuten Dokumentationsaufwand pro Patient und Quartal ergäben sich für jede und jeden der derzeit rund 44.000 aktiv in die DMP eingebundenen Hausärztinnen und Hausärzte etwa 32 zusätzliche Arbeitstage. Die Zusatzkosten für die GKV würden sich nach einer fünfjährigen Hochlaufphase bei den Teilnehmerzahlen auf 3,8 Milliarden Euro pro Jahr belaufen, was zu einer Beitragssatz-Erhöhung um 0,22 Punkte führen würde. "Diese Schätzungen dürften mangels Umsetzbarkeit kaum Realität werden", betont AOK-Vorständin Carola Reimann. "Aber sie machen die ganze Absurdität des Vorhabens deutlich. Schon bei einer teilweisen Umsetzung ist mit einer Überlastung der Hausarztpraxen zu rechnen - mit entsprechenden Nachteilen für chronisch und akut Kranke."

Reimann: Vorbeugemedizin kann Primärprävention nicht ersetzen

Dass die DMP-Pläne bisher kaum öffentlich diskutiert werden, ist der Vielzahl zweifelhafter Maßnahmen und Regelungen geschuldet, die im "Gesundes-Herz-Gesetz" enthalten sind. So ist unter anderem geplant, fragwürdige zusätzliche Früherkennungsuntersuchungen ohne evidenzbasierten Nutzen einzuführen und die Verschreibung von Cholesterinsenkern für weite Bevölkerungskreise zu forcieren. "Das ganze Gesetz atmet den Geist eines kardiozentrischen Weltbildes", kritisiert Carola Reimann. "Dass die zusätzlichen Arzneimittel und evidenzfreien Leistungen auch noch aus dem Etat für Präventionsmittel bezahlt werden sollen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Statt das bestehende Angebot von Präventionskursen und Gesundheitsangeboten für Kinder und Jugendliche in Frage zu stellen und bewährte Angebote zur Sekundärprävention wie die DMP zu beschädigen, sollte der Gesetzgeber die Primärprävention stärker in den Blick nehmen und konsequent fördern." Nötig seien bevölkerungsweite Maßnahmen, die den Konsum von Tabak, Alkohol und ungesunden Lebensmitteln reduzieren. "Primärprävention ist sicherlich harte Arbeit und widerspricht den Interessen vieler Lobbygruppen. Aber sie ist der Schlüssel zu einer gesünderen Gesellschaft und einer geringeren Krankheitslast. Und sie kann nicht durch Vorbeugemedizin ersetzt werden", so Reimann.

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Dr. Kai Behrens
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