Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
Woody Allens CAFÉ SOCIETY feiert "besonders wertvollen" Kinostart/Kinostart mit Prädikat auch für Dokus PETER HANDKE, CAHIER AFRICAIN und MANCHE HATTEN KROKODILE
Wiesbaden (ots)
Der junge und naive Bobby zieht in den Dreißigerjahren aus der New Yorker Bronx nach Los Angeles und hofft, dank der Hilfe seines Agentenonkels, auf eine Karriere im Filmgeschäft. Der Plan geht auf und Bobby geht schon bald seinen Weg auf der glitzernden Straße des Erfolgs. Doch all das nützt ihm nichts. Denn er ist unglücklich verliebt in ein Mädchen, das schon anderweitig gebunden ist. CAFÉ SOCIETY (Start: 10. November) ist Woody Allens 47. Spielfilm, mit dem er auch die diesjährigen Filmfestspiele in Cannes eröffnete. "Der Film wirkt als Gesamtkunstwerk, in das man durch die großartige Kamera des Altmeisters Vittorio Storaro, die perfekte Lichtsetzung und eine bis ins kleinste Dekor stimmige Ausstattung vom ersten Bild an hineingezogen wird. So entsteht der Glanz und Glamour Hollywoods, eine Märchenwelt, die zum Träumen einlädt. Die Jury war begeistert von diesem charmanten, klugen Woody Allen Film mit exzellenten Schauspielern bis in die kleinsten Nebenrollen, in dem alle Gewerke ihre Höchstleistung gezeigt haben." So urteilt die fünfköpfige Expertenrunde der FBW in ihrem Gutachten und verleiht dem Film das höchste Prädikat "besonders wertvoll".
Seit den 1960er Jahren ist Peter Handke nicht nur einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller, er spielt seitdem auch seine Rolle so souverän wie nur wenige. Und so inszeniert sich der 73-jährige Künstler auch in PETER HANDKE - BIN IM WALD. KANN SEIN, DASS ICH MICH VERSPÄTE (Start: 10. November), immer selbst. Er weiß genau, wie er sich vor der Kamera positionieren, wie er wirken, was er sagen und wie er sich bewegen muss, um dem Bild, dass er von sich erschaffen hat, zu entsprechen. Immerhin hat er selber ja auch als Filmregisseur gearbeitet. Die Filmemacherin Corinna Beltz akzeptiert diese Bedingungen und hinterfragt sie nicht. So ist ihr Porträt, wie die FBW-Jury anerkennt, konsequent und geht ganz offen mit dieser Tatsache um. In ihrer Begründung für das Prädikat "besonders wertvoll" schreibt die Jury dazu: "Auch die Selbstinszenierung eines Menschen sagt ja vieles über diesen aus und auf dieser Ebene lernt man Peter Handke in diesem Film dann doch überraschend gut kennen."
In ihrem neuen Dokumentarfilm CAHIER AFRICAIN (Start: 10. November) greift die Filmemacherin Heidi Specogna ein brisantes und wichtiges Thema auf. Als in Den Haag der Prozess gegen den ehemaligen Politiker Jean-Pierre Bemba beginnt, gibt es ein Heft mit Aussagen von 300 kongolesischen Frauen. Dieses Heft gehört zu den Beweismitteln, die dabei helfen sollen, Bemba wegen der Anordnung von Vergewaltigung als Kriegsstrategie und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen. Heidi Specogna hat sich seit 2008 mit dem Thema beschäftigt. Herausgekommen ist Langzeitdokumentation, die die Jury der FBW nicht nur durch ihr Thema, sondern auch durch ihre herausragende "Qualität der Recherche" beeindruckte. "Mit ausdauernder Nachhaltigkeit folgt Specogna den individuellen Schicksalen, ohne den Blick auf das Ganze zu verlieren. Sie nimmt sich Zeit, bis aus der Genauigkeit punktueller Ereignisse eine glasklare, welthaltige, allgemeingültige Geschichte wächst. So intensiv verbunden und unglaublich nah war man den Menschen in Afrika bisher sicher nicht oft." Hierfür vergibt die Jury das Prädikat "besonders wertvoll".
Dass St. Pauli ein spezieller Mikrokosmos ist, wird jedem bewusst sein, der schon einmal dort war. Doch um Menschen, die das berühmte Viertel in Hamburg bewohnen, wirklich kennenzulernen, müssten wir uns schon etwas mehr Zeit nehmen. Das hat Christian Hornung mit seinem Dokumentarfilm MANCHE HATTEN KROKODILE (Start: 10. November) geleistet. Er erzählt von in St. Pauli gestrandeten Menschen bzw. lässt diese von sich erzählen. Die Jury hebt in ihrer Begründung für das höchste Prädikat "besonders wertvoll" hervor, mit wieviel "Sympathie und Respekt" Hornung seinen Protagonisten begegnet. In der Begründung heißt es: "Christian Hornungs Film ist ein kluger und unterhaltsamer Dokumentarfilm im beobachtenden Stil, der in seiner klassischen Art nicht zufällig an den berühmten Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn erinnert."
In der kommenden Woche mit Prädikat im Kino: Das Harry Potter-Spinoff PHANTASTISCHE TIERWESEN UND WO SIE ZU FINDEN SIND sowie die Ruhrpott-Komödie RADIO HEIMAT.
Mehr Informationen zu aktuellen und kommenden FBW-Empfehlungen unter www.fbw-filmbewertung.com.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) zeichnet herausragende Filme mit den Prädikaten wertvoll und besonders wertvoll aus. Über die Auszeichnungen entscheiden unabhängige Jurys mit jeweils fünf Filmexperten aus ganz Deutschland. Die FBW bewertet die Filme innerhalb ihres jeweiligen Genres.
Prädikatsfilme vom 10. November 2016
http://fbw-filmbewertung.com/film/cafe_society
Peter Handke - Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte Dokumentarfilm. Deutschland 2016.
Peter Handke ist einer der bekanntesten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren. Der österreichische Schriftsteller veröffentlicht seit Ende der 1960er Jahre seine oftmals radikalen und unbequemen Texte. Darin beschäftigt er sich unter anderem mit der Entfremdung des Menschen von der Welt, in der er lebt. Eine zentrale Frage seiner frühen Schriften ist diese: "Wie soll man leben?" In ihrem Dokumentarfilm besucht die Filmemacherin Corinna Belz den berühmten Künstler, der zurückgezogen in Frankreich auf dem Lande lebt, in seinem Zuhause. Sie begleitet ihn beim Durchwandern seines Gartens, beim Putzen der Pilze für das Abendbrot, beim Bummel durch die angrenzende nächstgrößere Stadt, beim Essen mit seiner Tochter. Dazwischen immer wieder historisches Bildmaterial, Interviews mit dem Meister selbst, Fotografien aus der Vergangenheit, Ausschnitte aus seinen Texten, gelesen von ihm, in dieser typisch langsamen, immer etwas versetzt nuancierten Art. Belz' Film setzt dabei nie den Anspruch, den "wahren" Peter Handke zu zeigen. Der Film macht ganz im Gegenteil auf kluge Weise deutlich, wie sehr ein Künstler, der etwas erschafft, auch selbst zu etwas Künstlichem wird. Gleich zu Beginn akzeptiert Handke dieses Schicksal. Er wisse, eine Rolle zu spielen, er wisse nur nicht, welche. Und so inszeniert Handke sich. Belz lässt ihn dabei gewähren, fängt aber genau diese Inszenierung mit ruhigen und exakt komponierten Bildern ein, hält sich im Hintergrund. Nur manchmal sind ihre Fragen zu hören. Die meiste Zeit aber dominiert der Autor, der als Enfant Terrible der Literatur bekannt wurde. Nun aber, und dies macht PETER HANDKE - BIN IM WALD. KANN SEIN, DASS ICH MICH VERSPÄTE klar, scheint er selbst eine seiner wichtigsten Fragen beantwortet zu haben. "Wie soll man leben?" Peter Handke zeigt in seinem Zuhause in Frankreich jedenfalls, wie er leben möchte. Ein kluger und reflektierter Film über einen großen Künstler. Und einen Menschen, der die Kunst auch dazu nutzt, sein eigenes Ich zu schützen.
http://fbw-filmbewertung.com/film/peter_handke_bin_im_wald_kann_sein_dass_ich_mich_verspaete
Cahier africain
Dokumentarfilm. Deutschland, Schweiz 2016.
In Den Haag, am Internationalen Strafgerichtshof, liegt in einem Aktenordner ein dünnes Heft. Von außen sieht es aus wie ein normales Schulheft. Doch seine Seiten sind gefüllt mit unfassbaren Grausamkeiten. Grausamkeiten, die Menschen Menschen angetan haben. In dem Heft stehen die Aussagen von 300 Frauen, die im Jahr 2002 angegriffen, misshandelt, vergewaltigt, vertrieben wurden. Von kongolesischen Söldnern, die im Zuge des Krieges das Land heimsuchten und verwüsteten. Als in Den Haag der Prozess gegen Jean-Pierre Bemba beginnt, ist das Heft ein Beweismittel, um den ehemaligen Politiker wegen der Anordnung von Vergewaltigung als Kriegsstrategie und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen. Die Dokumentarfilmerin Heidi Specogna hat sich für CAHIER AFRICAIN seit 2008 mit dem Thema beschäftigt. Und genau das spürt man von der ersten Minute an. Der Film ist viel mehr als eine dokumentarische Auseinandersetzung mit einem Konflikt, er ist eine Beobachtung, eine Studie, eine Möglichkeit für den Zuschauer, sich hautnah in das Thema einzufinden. Die Erzählhaltung ist langsam, lässt die Zeit, sich mit den Begebenheiten und den Menschen vertraut zu machen. Es gibt wenige Protagonisten, die Specogna gezielt und ganz persönlich begleitet, doch diese bringt sie dem Betrachter wirklich nahe, ohne sie aber voyeuristisch preiszugeben. Da ist die Muslimin Amzine, die von einem Söldner vergewaltigt und schwanger wurde. Ihr Kind hat sie zur Welt gebracht. Dafür wird sie von ihrer Umwelt verurteilt und ausgestoßen. Und da ist die Christin Arlette, die von einer Kugel am Knie verletzt wurde und die mit ihrer Familie hofft, sich irgendwo wieder eine Existenz aufzubauen, den Krieg hinter sich zu lassen und wieder in Frieden leben zu können. Dies sind nur zwei Frauen, die der Film über all die Jahre begleitet. Gleichzeitig macht der Film auch klar: Das Schicksal der Porträtierten ist das Schicksal von vielen, ist unabhängig von Religion und Politik. Immer wieder lässt Specogna die Kamera einfach an Gesichtern entlang gleiten, etwa beim Verfolgen des Prozesses gegen Bemba am Fernseher im Gemeindezelt. Die Bildsprache ist klar, nicht gekünstelt. Kein Kommentar von außen erklärt etwas - was wirkt, sind nur die authentischen unverfälschten Eindrücke, die der Film einfängt und damit auch immer wieder Bilder mit hoher Symbolkraft erschafft. Ein Beweis für eine unfassbar große Nähe und ein ebensolches Vertrauen, was die Filmemacherin zu den Menschen aufbauen konnte. Und umgekehrt. Denn man spürt, wie sehr auch Specogna dieses Thema am Herzen liegt. An manchen Stellen liegt auf den Bildern eine Musik, die aus dem Land selbst ist. Es ist eine anklagende Musik, eine intensive Musik, die den Betrachter zusätzlich an die Menschen auf der Leinwand bindet. CAHIER AFRICAIN ist eine Verbeugung vor dem Mut der Frauen, die gegen ihre Peiniger aussagen. Doch der Film ist auch ein Fingerzeig für Europa und zwingt, hinzusehen, wo Wegsehen oftmals bequemer und angenehmer ist. Denn in diesen 119 Minuten erfährt man mehr über die Wirklichkeit des Lebens, der Geschichte und der Tragödie Afrikas als in vielen Nachrichtenformaten zusammen. CAHIER AFRICAIN - eine immens wichtige Dokumentation. Ein klug reflektiertes Stück Zeitgeschichte. Und ein bewegender Film.
http://fbw-filmbewertung.com/film/cahier_africain
Manche hatten Krokodile
Dokumentarfilm. Deutschland 2015.
Manche kamen aus familiären, manche aus beruflichen Gründen. Manche wollten aussteigen aus ihrem bürgerlichen Leben, manche wollten nur kurz Halt machen und blieben dann ein Leben lang. Sie alle sind irgendwann gestrandet in St. Pauli, diesem Hamburger Stadtteil, dessen Legenden und Mythen seit jeher die Realität überstrahlen. Denn die ist oft trostlos. Wohnungspreise schnellen aufgrund von Gentrifizierung in die Höhe, selbst Rentner müssen sich mit Nebenjobs über Wasser halten, um sich das Leben überhaupt noch leisten zu können. Doch bei all dem Negativen bleibt die Kneipe ums Eck immer noch der sichere Hafen, den alle ansteuern. Hier ist man eine eingeschworene Gemeinschaft, hier tauscht man sich aus - und hier spart man gemeinsam. Die "Sparclubs" findet man noch vereinzelt in den Kneipen. Hier hängen die Sparkästen. Jeder Stammkunde hat ein eigenes kleines Fach und muss pro Woche einen bestimmten Betrag einzahlen. Am Ende des Jahres bekommen alle das jeweils Gesparte ausgezahlt. Bei einer gemeinsamen Weihnachtsfeier. Der Filmemacher Christian Hornung begibt sich mit seinem Film MANCHE HATTEN KROKODILE auf die Spuren der Geschichte, der Leute, der Legenden, die St. Pauli sind. Er besucht die Alteingesessenen in ihren Stammkneipen und lässt sie einfach erzählen. Von ihren Erinnerungen an früher, als der Stadtteil noch richtig verrucht war. Als die Arbeit in den Bars und Stripclubs noch mit Exotik behaftet war, als der Rubel im Hafen noch rollte. Heute, und das steht in den vom Leben gegerbten Gesichtern geschrieben, ist es Geschichte, überlebt haben nur die oftmals verklärten Erinnerungen. Hornung mischt sich nie fragend in das Geschehen ein, macht sich mit seiner ruhig positionierten Kamera aber auch nicht unsichtbar und vertraut ganz auf die Wirkung seiner hervorragend ausgewählten Protagonisten, die er nie inszeniert, aber sich selbst in Szene setzen lässt. Der Zuschauer ist lediglich Beobachter und entwickelt trotzdem eine gewisse Nähe zu den Menschen. Doch, und auch das macht der Film auf sehr subtile Weise klar, es ist nur ein kleiner Blick in eine eigene Welt, die für sich existiert und die dem Außen trotzt. Deswegen verlässt die Kamera zum Schluss auch respektvoll die Kneipe, in der gefeiert, getrunken, geredet und gelacht wird. MANCHE HATTEN KROKODILE ist ein wahrhaftiger und sehr authentischer Dokumentarfilmgenuss, der in knapp 90 Minuten in eine Welt einlädt, in der manche sich am liebsten an früher erinnern und manche trotzig nach vorne blicken. Und in der manche sogar Krokodile hatten.
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