Joschka Fischer: Ich lebe gern in Deutschland - ich gehöre hierher
Hamburg (ots)
Nach einem Jahr als Gastprofessor an der amerikanischen Princeton-Universität ist Joschka Fischer, 59, zurück in Berlin. "Wenn ich die Augen schließe, fällt mir zuerst ein Geschmack ein. Deutschland schmeckt wie das Brot, das man hier bäckt. Der nächste Gedanke: Das ist mein Land! Aber ich werde zu meinem Land wohl für immer ein sehr zerrissenes Verhältnis behalten. Mir geht's da wie Heine, bin ich im Ausland, vermisse ich es. Als ich ein Jahr in Amerika war, habe ich rasch Sehnsucht bekommen nach dem deutschen Lebensgefühl, nach dem Brot, nach der Wurst. Aber wenn ich dann die Grenze überschreite, die Sprache wieder höre, wird es wieder widersprüchlicher. Dann hat mich Deutschland wieder. Aber im Ernst, ich lebe gerne hier, ja, gehöre hierher", sagt Fischer dem ZEITmagazin LEBEN.
Für Fischer ist Deutschland heute "ein offenes, menschenfreundliches" Land geworden: "Darauf können die Deutschen stolz sein." Joschka Fischer gibt zu: "Für mich wird trotzdem immer eine Spur Reserviertheit bleiben, nicht was die Zukunft betrifft, sondern die Vergangenheit. Das liegt an meinem Alter. Die Nachgeborenen haben es leichter. Meine Generation dagegen ist groß geworden in Trümmern, in einer vaterlosen Gesellschaft. Selbst wenn die Väter da waren, waren sie schwach. Du konntest dieses deutsche Erbe eigentlich nicht antreten, obwohl es dazu keine Alternative gab."
Fischer erinnert sich an frühere Jahre: "Als ich ein paar Jahre lang mit Freunden, zu viert oder fünft eingepfercht in irgendwelche Schrottlauben, nach Rom oder Paris fuhr und erlebte, mit welcher Selbstverständlichkeit die italienischen oder französischen Genossen ihre Volkstradition zelebrierten, die nicht vergiftet war wie unsere, wurde ich ganz neidisch. Die anderen hatten ihre Hauptstädte! Paris! Rom! London! Wir hatten Bonn. Deshalb war für mich klar, als wir mit der Regierung 1999 nach Berlin umgezogen sind: Ich muss in Mitte wohnen! Ich musste dahin. Ich musste mich vergewissern: Jetzt hast du's auch, deine Hauptstadt!"
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