Erstmals Gerichtsverfahren zum Aktenklau aus Helmut Kohls Kanzleramt 1998 - Angeklagt sind aber nicht die politisch Verantwortlichen, sondern ZEIT-Redakteure
Hamburg (ots)
Vor dem Hamburger Amtsgericht findet am Donnerstag, den 1. November 2001 erstmals ein Verfahren statt, dessen Hintergrund die Löschung von drei Gigabyte Daten sowie die Beseitigung wichtiger Akten über den CDU-Finanzskandal aus dem Bonner Kanzleramt vor dem Regierungswechsel 1998 darstellt. Angeklagt sind aber nicht die damals Verantwortlichen aus Helmut Kohls Kanzleramt. Der Vorwurf lautet auch nicht Verwahrungsbruch. Angeklagt sind vielmehr drei ZEIT-Redakteure, die unbestritten wahrheitsgemäß über diesen Staatsskandal berichtet haben. Ihnen wird nun von der Staatsanwaltschaft Hamburg vorgeworfen, in einem ihrer Artikel "amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens und eines Disziplinarverfahrens in wesentlichen Teilen im Wortlaut" noch vor der öffentlichen Verhandlung zitiert zu haben. Dies sei nach § 353d StGB strafbar.
Im Verfahren geht es um einen Artikel, den DIE ZEIT am 20. Juli 2000 unter der Schlagzeile "Operation Löschtaste" publiziert hatte. Die Unterzeile lautete: "Wer befahl die Vernichtung der Daten und Akten im Kanzleramt? Geheime Vernehmungsprotokolle des Sonderermittlers Hirsch zeigen: Die Spur führt zu Kanzleramtschef Bohl". DIE ZEIT berichtete, wie sich hohe Beamte des Kanzleramtes bei den Anhörungen wanden, auf Erinnerungslücken beriefen, logen und offenkundig die ehemalige Spitze des Kanzleramtes schützten. Sonderermittler Hirsch gab seinen Bericht und seine Anhörungsprotokolle an die Staatsanwaltschaft Bonn weiter, die das Verfahren aber ohne weitere Ermittlungen einstellen wollte. Erst eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Freiburger Politikwissenschaftlers Professor Wilhelm Hennis sowie von elftausend ZEIT-Lesern zwangen die Justiz zu Ermittlungen. Die Generalstaatsanwaltschaft Köln wies die Staatsanwaltschaft Bonn im Sommer 2001 an, das Verfahren zunächst weiterzuführen. Bis heute ist aber unklar, ob jemals ein Verantwortlicher für diese große Vernichtungsaktion in der deutschen Regierungszentrale gefunden und verantwortlich gemacht werden wird.
Zielstrebiger verlief die Verfolgung der Chronisten dieses Skandals. Am Tag nach der Veröffentlichung in der ZEIT erstattete der damalige Büroleiter des ehemaligen Kanzleramtschefs, Friedrich Bohl, Anzeige gegen die ZEIT-Redakteure. Sie stehen am Donnerstag vor Gericht. Den Redakteuren Thomas Kleine-Brockhoff, Martin Klingst und Bruno Schirra droht bei Verurteilung eine Gefängnisstrafe.
Rechtsanwalt Johann Schwenn, der einen der ZEIT-Redakteure verteidigt, weist die Vorwürfe zurück: "Die Angeschuldigten haben das getan, was ihre Aufgabe ist." ZEIT-Herausgeber und Chefredakteur Michael Naumann vertraut darauf, "dass angesichts von Artikel 5 des Grundgesetzes, der nicht nur die Pressefreiheit garantiert, sondern auch das Recht der Bürger auf Information, jeder Versuch scheitern wird, einen der größten Staatsskandale der Bundesrepublik zu den Akten zu legen. Die Hoffnung ist umso ausgeprägter, als wir ja erfahren haben, was Staatsakten alles zustoßen kann." Und der Leipziger Publizistik-Professor Michael Haller schreibt in der Fachzeitschrift "Message", in diesem Verfahren ginge es darum, "ob unser Rechtsstaat die Grundlagen zerstört, auf denen das Prinzip Öffentlichkeit' basiert".
Die Verhandlung beginnt am 1. November 2001 um 9.00 Uhr im Sitzungsraum 176 des Hamburger Strafjustizgebäudes, Sievekingsplatz 3.
Weitere Informationen: Elke Bunse oder Verena Schröder, ZEIT Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel.: 040 / 3280 - 217, -303, Fax: 040 / 3280-558, e-mail: bunse@zeit.de, schroeder@zeit.de
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