ZEIT Information zum ZEIT-Interview mit Bundesinnenminister Otto Schily hinsichtlich der Behandlung inhaftierter Terroristen
Hamburg (ots)
Es gibt viele Anfragen bezüglich der von Bundesinnenminister Otto Schily geäusserten Meinungsverschiedenheiten mit den USA wegen der Behandlung inhaftierter Terroristen.
Wörtlich sprach Otto Schily von "Meinungsverschiedenheiten, die wir in einigen, sehr tief gehenden Fragen haben".
Nachstehend finden Sie das gesamte Interview zu Fragen der Folter und dem Umgang mit Terroristen im Wortlaut
Vollständiges Interview:
die zeit: Herr Minister, angenommen, wir haben Osama bin Laden und wissen, dass ein neuer, schrecklicher Anschlag bevorsteht. Der Al-Qaida-Chef aber schweigt. Wie kriegen wir ihn zum Reden? Notfalls mit Zwang?
Otto Schily: Es gibt bewährte rechtsstaatliche Vernehmungsmethoden, die sicher auch einen bin Laden zur Aussage bewegen würden. Ich sage bewusst: rechtsstaatliche Methoden. Denn die Grenze zur Folter dürfen wir nicht überschreiten.
zeit: Die USA haben gerade einen von bin Ladens Stellvertretern gefangen genommen und sagen, sie würden jetzt "besonderen Druck" auf ihn ausüben, um an wichtige Informationen heranzukommen. Beunruhigt Sie das?
Schily: Druck beunruhigt mich nicht. Mich beruhigt, dass die Amerikaner erklärt haben, auch Scheich Mohammed nach rechtsstaatlichen Methoden behandeln zu wollen.
zeit: Die Grenze zwischen Druck und Folter scheint aber nach Auffassung der USA sehr fließend zu sein. Schlafentzug, stundenlanges Verharren in schmerzhafter Stellung, tagelanges Flutlicht, Wasserentzug - ist das erlaubter Druck? Oder bereits verbotene Folter? Oder die Grauzone?
Schily: Warum sollten wir über Grauzonen diskutieren? Über Detailfragen?
zeit: Weil sie in der Debatte eine große Rolle spielen. Auch in Deutschland, seit ein Frankfurter Polizeibeamter eingestanden hat, dem mutmaßlichen Entführer und Mörder des Bankierssohns Jakob von Metzler mit der Zufügung heftiger Schmerzen gedroht zu haben, um so den Aufenthaltsort des Opfers zu erfahren.
Schily: Ich halte die Debatte, die sich jetzt an dem schrecklichen Mord entzündet hat, für hoch gefährlich. Diese Debatte wurde doch mutwillig begonnen, um Grenzen aufzulösen. Ich sage aber klipp und klar: Wenn man das Folterverbot aufweicht, wenn man es einer Abwägung zugänglich macht, gibt es kein Halten mehr. Dann kann man den Beschuldigten gleich auf eine heiße Herdplatte setzen oder ihm den Finger abhacken und sagen: "Wenn du weiter schweigst, ist der nächste Finger dran." Derartige Diskussionen führen nur weiter in die Irre und provozieren andere Debatten. Am Ende landen wir bei der Todesstrafe.
zeit: Die sich doch bei der Regierung Bush und vor allem bei ihrem amerikanischen Amtskollegen John Ashcroft großer Beliebtheit erfreut?
Schily: Sie wissen, ich bin ein entschiedener Gegner der Todesstrafe. Ashcroft hat in dieser Frage leider eine andere Position als wir. Die USA stehen ja auch in einer anderen Rechtstradition, was mich aber nicht hindert, mit meinem Kollegen außerordentlich gut zusammenzuarbeiten.
Gleichwohl, wenn wir anfangen, Verbote wie das Folterverbot zu relativieren, landen wir im tiefsten Mittelalter und stellen all unsere Wertvorstellungen zur Disposition. Unser Grundsatz muss lauten: Der Rechtsstaat darf sich nur mit rechtsstaatlichen Mitteln verteidigen. Und das oberste Prinzip heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Artikel 1 unserer Verfassung gilt überall - auch bei Verhören.
zeit: Was aber sind Schlafentzug, Wasserentzug, schmerzhafte Stellungen?
Schily: Dass man jemanden unter Stress befragt, bedeutet nicht sofort Folter. Ebenso wenig, wenn der Beschuldigte beim Verhör nicht im bequemen Ledersessel sitzen darf, sondern auf einem harten Holzstuhl hocken muss, oder wenn die Polizei sein Gesicht mit einer Lampe beleuchtet, um zu sehen, wie er auf die Fragen reagiert. Selbstverständlich muss man darauf achten, dass die Grenzen nicht zu weit gezogen werden. Aber wenn man den Artikel 1 des Grundgesetzes im Kopf hat, weiß man, wo Schluss ist.
zeit: Ja, wenn man ihn denn im Kopf hat ...
Schily: Wir Deutschen haben manchmal die Neigung, dass wir unserem eigenen Rechtsgefühl zu wenig vertrauen und alles bis ins letzte Detail geregelt haben wollen. Ich kenne viele gute Beamte, die sehr geschickt vernehmen, die über ein reichhaltiges Befragungsinstrumentarium verfügen und zugleich intuitiv wissen, welche Grenze nicht überschritten werden darf. Eine Relativierung des Folterverbots wäre verhängnisvoll. Ebenso verhängnisvoll wie die traurige Tatsache, dass einige Menschen den Krieg leider wieder als ein normales Mittel der Politik betrachten.
zeit: Ist das Folterverbot selbst dann absolut, wenn mit seiner Androhung vielleicht Leben gerettet werden kann? In Frankfurt führte der mutmaßliche Täter die Polizei schließlich zu seinem Entführungsopfer. Leider war der Junge schon tot.
Schily: Der Polizeibeamte in Frankfurt hatte keine schlechten Absichten, als er Schmerzen androhte. Er handelte aus Sorge um das Kind. Das ist ehrenwert. Gleichwohl dürfen wir keine Einbruchstellen schaffen und es in das Belieben der Beamten stellen, ob das Folterverbot beachtet wird oder nicht. Noch einmal: Dann gibt es kein Halten mehr.
zeit: Keine Ausnahme vom Folterverbot, aber vielleicht Nachsicht der Justiz mit dem Polizeibeamten, wenn er vor Gericht steht? Was würde der Anwalt Otto Schily sagen, wäre er mit der Verteidigung des Polizisten beauftragt?
Schily: Dann würden mir sicher gute Argumente einfallen, und ich würde ihn bestimmt erfolgreich verteidigen. Aber als Bundesinnenminister achte ich die Unabhängigkeit der Justiz und mische mich nicht in laufende Verfahren ein.
zeit: Auch in den USA gilt das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung. Deshalb verhören die Amerikaner gefangen genommene Taliban und Al-Qaida-Terroristen am liebsten außerhalb der Vereinigten Staaten. Zum Beispiel auf ihrem kubanischen Stützpunkt Guantánamo oder in Ägypten und Pakistan, wo ihnen niemand auf die Finger schaut. Ist das kein Dammbruch?
Schily: Das sind sehr heikle Probleme. In der Tat stoßen wir hier auf wirklich große rechtliche Schwierigkeiten, die gelöst werden müssen. Welchen rechtlichen Status haben die Personen, die in terroristische Aktionen verwickelt sind? Sind sie Krieger oder Kriminelle? Mit rein polizeilichen Methoden kommen wir allerdings in vielen Fällen, siehe Afghanistan, nicht voran und setzen deshalb gegen sie militärische Mittel ein - mit allen schrecklichen Nebenfolgen. So gesehen führen wir Krieg gegen den Terrorismus.
Nur: Es ist kein üblicher Krieg, keiner gegen Staaten, sondern gegen verbrecherische Organisationen. Also müsste man entscheiden: Sind die Gefangenen Kombattanten - dann gelten die Genfer Konventionen. Sind sie Kriminelle - dann gelten sie als Beschuldigte mit sämtlichen Rechten, die ihnen der Strafprozess garantiert.
zeit: Aber genau diese Entscheidung wollen die USA vermeiden und gehen nach Guant*namo ...
Schily: ... weil sie der Ansicht sind, beide Kategorien passen nicht. Wenn man so will, haben sie das Problem pragmatisch gelöst, indem sie die Gefangenen in einen rechtsfreien Raum schaffen. Das ist auf Dauer natürlich nicht durchzuhalten und wird auch in den Vereinigten Staaten heftig diskutiert.
zeit: Ohne große Folgen.
Schily: Ich habe auf diese Frage auch noch keine schlüssige Antwort. Aber die internationale Rechtsgemeinschaft muss sich damit beschäftigen. Man wird nach den verheerenden Erfahrungen des 11. September 2001 nicht vermeiden können, solche Terroristen unter polizeilich-präventiven Gesichtspunkten für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen.
zeit: Auf unbestimmte Dauer? In Guantánamo sitzen einige bereits seit anderthalb Jahren, ohne Anklage, ohne Verteidigung.
Schily: Deshalb würde ich dazu neigen, ihnen nach einer angemessenen Zeit den Status eines Beschuldigten im Strafverfahren zu geben. Würden wir Osama bin Laden in Deutschland festnehmen und aus irgendeinem Grund nicht an Amerika ausliefern, dann käme er hier vor Gericht und könnte alle Rechte eines Beschuldigten oder Angeklagten in Anspruch nehmen. Das wäre auch richtig.
zeit: Sagen Sie ihrem amerikanischen Amtskollegen, dass in Guantánamo ein Problem lauert und dringend gelöst werden muss?
Schily: Die Gesprächsbereitschaft Amerikas ist an dieser Stelle nicht sehr weit entwickelt. Das muss man aber auch verstehen, sie waren und sind Zielscheibe der Al-Qaida-Terroristen, sie sehen sich im Kriegszustand mit diesem verbrecherischen Netzwerk. Wenn die Amerikaner die Möglichkeit hätten, bin Laden zu töten, könnte man ihnen dieses Selbstverteidigungsrecht wohl kaum absprechen.
zeit: So entledigt man sich der Gegner, ohne sie jemals vor ein Gericht stellen, ohne irgendeinen Beweis auf den Tisch legen zu müssen. Im Jemen haben die Amerikaner kürzlich mutmaßliche Terroristen mit einer Rakete exekutiert. Nennt man das nicht "außergerichtliche oder illegale Tötung"?
Schily: Die Amerikaner würden hier von ihrem Recht auf Selbstverteidigung sprechen. Sie handeln, bevor sie selbst wieder Opfer eines Anschlags werden. Das muss man zunächst einmal verstehen. Aber auch dieser Fall wirft das bislang ungelöste Problem auf: Wird Krieg geführt oder eine terroristische Organisation mit Polizeigewalt bekämpft? Gilt Kriegsvölkerrecht oder Strafrecht? Die internationale Rechtsgemeinschaft wäre gut beraten, sich mit diesem Thema schnell zu befassen.
zeit: Könnte der Internationale Strafgerichtshof im Kampf gegen den weltumspannenden Terrorismus helfen?
Schily: Ja, das wäre eine sehr gute Perspektive. Aber Sie wissen, dass wir in puncto Internationaler Strafgerichtshof mit den Amerikanern Schwierigkeiten haben. Sie halten nicht viel davon und fürchten, ihre eigenen Soldaten könnten dort angeklagt werden. Ich fände es gut, würden wir uns mit Washington einigen. Aber konfrontatives Verhalten bringt uns nicht weiter. Ohnehin bin ich der Meinung, dass wir die Gegensätze zu Amerika nicht verstärken sollten. Im Moment sollten wir uns in erster Linie um Dialog und Verständigung bemühen, unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten, die wir in einigen sehr tief gehenden Fragen haben.
Das Gespräch führte Martin Klingst
DIE ZEIT Nr. 12 vom 13. März 2003
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