Berliner Morgenpost: Kommentar - Ein Versprechen, das Berlin sehr teuer kommt
Berlin (ots)
Besserverdienende werden vom Senat künftig entlastet. Denn mehr als 300 Euro im Monat hat es diese Bevölkerungsgruppe bisher in Berlin gekostet, ein Kind in einer öffentlichen Kita betreuen zu lassen. Und weil Klaus Wowereit im Wahlkampf 2006 versprochen hat, Kindertagesstätten schrittweise für Kinder ab drei Jahren gebührenfrei zu machen, steigen jetzt die Nettoeinkommen in vielen Haushalten um zehn Prozent. Aber das Land Berlin verliert mit jedem Kita-Jahrgang, der keine Gebühren mehr bezahlt, 17 Millionen Euro. Gleichzeitig fehlt dem Senat das Geld, um seine hoch gesteckten Ziele für mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung zu realisieren. Dafür brauchen wir mehr und besser ausgebildete Erzieher sowie freigestellte Kita-Leiterinnen, die ihre Einrichtung zu Familienzentren aufmöbeln und spezielle pädagogische Profile entwickeln. In dieser Lage ist der Ruf nach einem Aussetzen der Gebührenfreiheit, die interessanterweise ebenso von der Linken wie von der FDP vertreten wird, zunächst gut nachvollziehbar. Zumal viele Eltern willens und in der Lage sind, sich finanziell an einer guten Kita für ihre Kinder zu beteiligen. Sie würden lieber Geld bezahlen und dafür eine zusätzliche Erzieherin in ihrer Gruppe von 15 Kindern sehen. Dagegen steht das Argument der SPD: Die Kita ist keine Aufbewahrungsanstalt, sondern eine Bildungseinrichtung. Die Grundschule koste ja auch kein Geld. Und Praktiker an der Integrationsfront verweisen darauf, dass selbst der Mindestbeitrag von 20 Euro monatlich und die 23 Euro Essensgeld bildungsferne Eltern, die den Sinn einer Kita für die Entwicklung ihres Nachwuchses nicht sehen, abschrecken. Sie lassen ihre Kinder dann lieber von der Omi beaufsichtigen, denn die ist gratis. Dass Omi im Zweifel Arabisch, Türkisch oder schlechtes Deutsch mit den Kleinen spricht, stellt später die Grundschulen vor die bekannten Sprachprobleme vieler Schulanfänger. Klaus Wowereit und die SPD kommen aus ihrem Wahlkampfversprechen der freien Kitas nicht mehr heraus. Und langfristig ist die Idee sicher auch richtig. So muss Wowereit jetzt wohl in den sauren Apfel beißen und das Geld, das er den Eltern erlassen hat, zusätzlich aus dem Haushalt für die Kitas bereitstellen. Denn alle Experten sind sich einig, dass Investitionen in frühkindliche Bildung mittelfristig den größten Ertrag für die gesunde Entwicklung abwerfen, gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten. Oder aber die Sozialdemokraten springen über ihren Schatten und handeln pragmatisch. Dann könnten sie den Armen den Mindestbeitrag erlassen, um die Hürden für den Kita-Besuch zu senken. Mittelschichtfamilien und Besserverdienern könnten sie entgegenkommen und die in Berlin vergleichsweise hohen Gebühren auf das Niveau senken, das sie hatten, ehe Rot-Rot 2004 sie massiv in die Höhe schraubte. Dann kämen mehr arme Kinder in die Kita, und gut verdienende Eltern würden weiterhin ihren Obolus für ein besseres Bildungs- und Betreuungssystem beisteuern.
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