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BERLINER MORGENPOST: Die Kanzlerin im Wolfsrudel - Leitartikel

Berlin (ots)

Lawinen beginnen oft zufällig. Fast nie fallen anfangs große Brocken, vielmehr kullern zunächst Krümel vom Gipfel hinab. Angela Merkel hat in diesem Winter die Höhen der Macht erklommen. Ganz Europa macht Männchen, in der Partei lauert nirgendwo ein Rivale, die Opposition ist auf Distanz. Das Tückische am Machtgipfel: Überall geht's nur bergab. Der Niedergang des Bundeskanzlers Schröder kündigte sich an, als er die Wiederwahl 2002 geschafft hatte, auf dem Höhepunkt des Ruhms. Ministerpräsident Stoiber war wenige Monate nach dem historischen Zweidrittelsieg erledigt. Zufall, dass in Berlin erste Krümel kullern? Die machtschlaue Kanzlerin weiß um die Sprengkraft jener symbolischen Momente, die nach Erosion aussehen. So schmerzte sie beim Ringen um den Bundespräsidenten weniger die Person Gauck als der Nimbus der Allmacht, der plötzlich dahin war. Ausgerechnet der Machtpraktikant Rösler führte die Hilflosigkeit der Chefin vor und kommentierte ihre Niederlage auch noch frech. Röslers überraschender Triumph wird noch brutalstmöglich bestraft werden, gleichwohl dürfte sich nicht nur in der FDP die Angststarre auflösen, die den übergehorsamen Westerwelle noch gelähmt hatte. Auch die notorisch profilierungshungrigen Bayern entdecken die Lust am Kanzlerinnenquälen. Kalkuliert zirkelte der ansonsten nicht sehr auffällige Bundesinnenminister Friedrich seine Bedenken zur Griechenlandhilfe auf den Tag der Abstimmung, garantiert mit Wissen der Münchner Zentrale. Die Bundesverfassungsrichter mögen ebenfalls verstohlen gegrient haben, als sie dem parlamentarischen Sondergremium zur EU-Rettung die Legitimität absprachen und mithin die Kanzlerin in die Schranken wiesen. Halb so schlimm, wenn Koalitionspartner oder Institutionen quengeln - das gehört dazu. Bedrohlich wird die Lage, wenn die eigene Partei die Gefolgschaft verweigert. Die Selbstverständlichkeit, mit der CDU-Abgeordnete gegen das Griechenland-Paket stimmten, darf man getrost als Respektlosigkeit gegenüber der Parteivorsitzenden interpretieren. Über den Wiedereinzug in den Bundestag wird eben nicht im Kanzleramt, sondern im Wahlkreis entschieden. Und dort sind die Milliarden für Athen kaum zu erklären. Konsequenzen? Muss kein Abgeordneter fürchten. Im schlimmsten Fall kommt Angela Merkel im Wahlkampf nicht vorbei. Da ist die Rebellenrolle allemal werbewirksamer. Die Kanzlerin hatte nun mal das Pech, sowohl bei Gauck als bei Griechenland nicht mit der Mehrheit im Bunde zu sein. Wie im Wolfsrudel erkennen die CDU-Freunde kleinste Schwächen sofort, sie zerren hier, sie beißen da, sie gucken, wie stark die Leitwölfin wirklich ist. Macht hat zuweilen mit Gewalt um der Gewalt willen zu tun. Wer oben sitzt auf dem Felsen, muss jeden Anschein von Schwäche vermeiden. Macht-Routinier Helmut Kohl spürte sofort, dass da was in Bewegung kommen könnte, und sprang der Vorsitzenden bei. Wer die Kanzlerin als Nächster herausfordert, darf sich auf ziemlichen Zorn gefasst machen.

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