Alle Storys
Folgen
Keine Story von BERLINER MORGENPOST mehr verpassen.

BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST: Die SPD muss neu denken
Leitartikel von Philipp Neumann zur Zukunft der Sozialdemokraten

Berlin (ots)

Peer Steinbrück hat eine beeindruckende Karriere als Beamter und als Minister hinter sich. Seine Versuche aber, sich in politische Spitzenämter wählen oder sich darin bestätigen zu lassen, gingen dagegen schief: 2005 erzielte er das damals schlechteste SPD-Ergebnis bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. 2013 verlor er als Kanzlerkandidat die Bundestagswahl haushoch gegen die Union. Dass nun ausgerechnet Steinbrück zu wissen glaubt, wie die SPD aus der Krise kommen könnte, wirkt schräg. Steinbrücks Rat, die SPD brauche einen deutschen "Bernie Sanders, nur 30 Jahre jünger", ist leicht dahingesprochen. Aber erstens hat die SPD keinen so knorrigen Typen wie den linken amerikanischen Senator Sanders, der beinahe gegen Donald Trump kandidiert hätte. Und zweitens waren es nicht nur Sanders' linke Thesen, die junge Amerikaner faszinierten, sondern gerade auch sein Alter und seine Erfahrung. Außerdem: Am Ende war auch Sanders ein Verlierer, denn die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten hieß Hillary Clinton. Abgesehen davon erweckt Steinbrück den fatalen Eindruck, die SPD müsse nur das Personal auswechseln und ihre Thesen etwas zuspitzen, um wieder Wahlen gewinnen zu können. Doch das ist zu kurz gedacht. Politik funktioniert anders als Fußball, wo die Trainer bei Misserfolg gefeuert werden. Denn die SPD hat ja durchaus Erfolg. Sie hat in diesen - und in den vorangegangenen - Koalitionsvertrag jede Menge sozialdemokratische Wünsche hineinverhandelt. Gemerkt hat das kaum jemand, noch nicht einmal die eigenen GroKo-Gegner. Vielleicht liegt das an unverständlichen Begriffen wie "Brückenteilzeit" oder "Teilhabechancengesetz". Vielleicht muss die SPD auch mehr zu ihren eigenen Erfolgen stehen. Oder leidenschaftlicher Politik machen. Geräuschlos arbeitende Minister wie Heiko Maas oder Hubertus Heil reißen die Leute nicht von den Sitzen. Doch das ist nicht das eigentliche Problem der SPD. Das Problem ist: Die Partei hat kein Profil und keine große Geschichte mehr, die sie erzählen kann. Ihre Kernkompetenz war früher die Sozialpolitik. Doch der deutsche Sozialstaat ist mittlerweile so perfekt, dass man ihn kaum noch perfekter machen kann. Mit der klassischen Sozialpolitik der vergangenen Jahrzehnte, die hier noch eine kleine Verbesserung bringt und dort noch etwas mehr Geld, kommt die SPD nicht mehr weiter - erst recht nicht auf dem Höhepunkt eines wirtschaftlichen Booms mit Vollbeschäftigung. Die Grünen stehen für Umwelt- und Klimaschutz; ihnen trauen die Bürger zu, Probleme der Zukunft zu lösen. Die AfD wettert gegen den Euro und gegen Flüchtlinge; bei ihr können Wähler Frust loswerden. Aber wofür steht heute die SPD? Die Partei muss ihren Wählern nicht nur erklären können, wie sie preiswert wohnen oder sogar eigene Immobilien kaufen können. Sie muss erklären können, ob und wie Industriearbeitsplätze erhalten bleiben. Sie muss vor allem aber die Angst vor dem Jobverlust durch Globalisierung, Digitalisierung und Migration nehmen können, dazu die Angst vor Altersarmut. Das ist eine ganze Menge. Aber das sind die Anforderungen an eine Sozialpolitik im 21. Jahrhundert. Sie ließen sich erfüllen, wenn die SPD über das sozialpolitische Klein-Klein hinausschauen würde. Sie muss sich trauen, große Teile des bisher vor allem über Beiträge finanzierten Sozialstaats neu zu denken. Ansätze dafür gibt es, aber sie kommen über tagesaktuelle Zwischenrufe nicht hinaus. Was der SPD deshalb am meisten fehlt, ist der Mut, neue Wege zu gehen.

Pressekontakt:

BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST