Behinderte ketten sich an das Grundgesetz für mehr Teilhabe und gegen Barrieren
Am Mittwoch Abend ketten sich Aktivisten nahe der Grundgesetz-Tafeln am Bundestag für ein gutes Teilhabegesetz an
Berlin (ots)
In der letzten Woche wurde nach langen Verhandlungen ein erster Referententwurf zu einem Bundesteilhabegesetz veröffentlicht. Was die Regierungsparteien als "Meilenstein" bezeichnen, ist für viele Menschen mit Behinderungen noch lange kein gutes Teilhabegesetz. Unter dem Schlagwort #NichtMeinGesetz rufen Aktivisten zum Protest auf: "Der Referentenentwurf geht nicht weit genug auf die Forderungen von Menschen mit Behinderungen ein, es drohen sogar Verschlechterungen. Einige können zukünftig zwar mehr als 2.600 Euro sparen, aber diejenigen, die auch auf Hilfe zur Pflege angewiesen sind, werden nach wie vor arm gehalten", erklärt Raul Krauthausen, einer der Initiatoren des Protestes. Aktuell geht es den Aktivistinnen und Aktivisten auch darum, dass private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit verpflichtet werden, was die CDU/CSU und SPD Fraktionen bisher vehement ablehnen. Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts wird bereits am Donnerstag im Deutschen Bundestag verabschiedet werden. Damit hätten behinderte Menschen auch weiterhin so gut wie keine Handhabe, um gegen Barrieren beim Bäcker, in Geschäften, Restaurants, Cafés oder Kinos vorgehen zu können. "Dieses Gesetz ist die Nagelprobe für die Regierungskoalition, ob sie es mit den Rechten behinderter Menschen wirklich ernst meinen", so Raul Krauthausen. Während am Montag Menschen mit Behinderungen schon lautstark vor den Parteizentralen von CDU und SPD gegen Barrieren und schlechte Gesetze durch Pfeifaktionen aufmerksam gemacht haben, werden sich am Mittwoch Abend ab 17 Uhr AktivistInnen in der Nähe der Grundgesetztafeln am Reichstagsufer anketten und die Nacht lang verweilen. Mitinitiator und Bundesverdienstkreuzträger Krauthausen wird auch dabei sein: "Im Artikel 1 des Grundgesetzes steht: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar', aber sie wird bei mir und bei vielen behinderten Menschen am Ende jedes Monats angetastet, wenn man komplett den eigenen Verdienst, den der Lebenspartner und Eltern auch offen legen müssen, weil man nicht mehr als den doppelten Hartz IV-Satz plus Wohnungskosten verdienen darf. Durch den aktuellen Entwurf zum Bundesteilhabegesetz wird sich daran wohl nur wenig ändern." Von den aktuellen Gesetzesvorhaben sind laut Dr. Sigrid Arnade von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) mehrere Millionen Menschen betroffen. Die Einbeziehung behinderter Menschen in die Gesetzgebungsverfahren hätten bisher kaum Wirkung gezeigt. Ganz im Gegenteil man müsse nun sogar gegen Verschlechterungen kämpfen. Deshalb gelte es nun dagegen zu protestieren. Am 4. Mai, dem Europäischen Protesttag behinderter Menschen waren bereits ca. 5.000 Menschen mit und ohne Behinderungen vor dem Kanzleramt und Brandenburger Tor erschienen. Zudem haben über 330.000 Menschen bei Change.org eine Petition zu einem besseren Teilhabegesetz unterschrieben. "Wir hoffen darauf, dass Politikerinnen und Politiker unsere Menschenrechte ernst nehmen und zu deren Achtung entsprechende Gesetze verabschieden. Wir brauchen ein gutes Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts, dass Barrierefreiheit auch im privaten Bereich vorschreibt, und ein gutes Bundesteilhabegesetz", fordert Raul Krauthausen. Was ist das Bundesteilhabegesetz? Das sogenannte Bundesteilhabegesetz soll die Hilfen für Menschen mit Behinderungen neu gliedern und verbessern. Die meisten dieser Hilfen sind heute im Sozialgesetzbuch festgeschrieben. Das Bundesteilhabegesetz will dieses und weitere Gesetze verändern. Warum ist das Thema so wichtig? Für viele behinderte Menschen sind diese Leistungen die Grundlage für ihr Leben. Ohne diese können sie kein selbstbestimmtes Leben führen. Derzeit gibt es viele Probleme mit den Hilfeleistungen. So ist es oft schwierig, überhaupt einen Anspruch darauf zu erlangen, diesen genehmigt zu bekommen oder angepasst zu kriegen. Dadurch werden viele behinderte Menschen benachteiligt und an einem selbstbestimmten Leben gehindert. Wen betrifft das? In Deutschland leben circa 10,2 Millionen Menschen mit einer anerkannten Behinderung. Schwerbehindert sind davon 7,5 Millionen Menschen. Nicht alle von diesen benötigen die im Bundesteilhabegesetz zu ändernden Hilfen. Rechnet man aber auch Lebenspartner, Eltern und Kinder der Betroffenen hinzu, betrifft es einen großen Teil der deutschen Bevölkerung. Weitere Informationen zum Protest gibt es auf der Aktionsseite: www.nichtmeingesetz.de
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