Umfrage Perspektive-Deutschland: Klares Bekenntnis zu Reformen
Politik verliert weiter an Vertrauen
Massive Zukunftsängste
Berlin (ots)
Die Deutschen haben das Vertrauen in eine baldige Erholung der Wirtschaft und eine grundlegende Reform des Sozialstaats verloren. Fast zwei Drittel befürchten, dass sich die Lebensverhältnisse weiter verschlechtern. Außerdem glaubt ein Großteil der Bevölkerung nicht, dass Politiker und andere staatliche Institutionen den notwendigen Richtungswechsel derzeit herbeiführen können. Die Bürger sehen die Notwendigkeit von Einschnitten, immerhin 85% wären zumindest für Reformen zu gewinnen. Das sind die repräsentativen Hauptergebnisse der Online-Umfrage Perspektive-Deutschland, die heute in Berlin vorgestellt wurden. Initiatoren dieser weltweit größten gesellschaftspolitischen Online-Umfrage sind die Unternehmensberatung McKinsey & Company, das Magazin stern, das ZDF und das Internet-Unternehmen AOL. An der Umfrage haben sich von Oktober 2003 bis Anfang Januar 2004 mehr als 450.000 Menschen beteiligt.
Trotz der düsteren Zukunftserwartungen ist die Zufriedenheit der Menschen noch sehr hoch. Jeweils mehr als zwei Drittel der Befragten antworteten, man könne alles in allem gesehen am Wohnort, in Deutschland und in Europa sehr gut leben. Die zufriedensten Deutschen leben danach in Starnberg und Landsberg am Lech. Die Region Osnabrück, die im Vorjahr die höchsten Beliebtheitswerte erzielte, belegt dieses Jahr Platz 4. Die Zufriedenheit mit dem Leben am Wohnort ist in den neuen Bundesländern deutlich geringer (40%) als in den alten (75%).
Mehr als drei Viertel der Bürger (77%) sehen dringenden Verbesserungsbedarf bei öffentlichen Institutionen. Hauptverlierer im Vergleich zur vorjährigen Umfrage von Perspektive-Deutschland sind die Gewerkschaften. Mittlerweile sprechen 43% der Bürger den Gewerkschaften deutliches Misstrauen aus. Im Vorjahr waren dies 33%. Gut zwei Drittel der Befragten haben überhaupt kein Vertrauen mehr in die politischen Parteien. Diese schneiden damit schlechter ab als alle anderen abgefragten Institutionen. 68% glauben, dass sich die Fähigkeit der Politik, Reformen tatsächlich umzusetzen, weiter verschlechtern wird.
Trotzdem verweigern sich die Bürger nicht grundlegenden Reformen. Sie haben ihre Notwendigkeit eindeutig erkannt. Haupthandlungsfelder sind leistungsfähigere Schulen, bessere Bedingungen für Familien mit Kindern sowie mehr wirtschaftliche Dynamik. Mehr als zwei Drittel der Deutschen wünschen sich eine Gesellschaft mit mehr Wachstum und größerer Eigenverantwortung - unter diesen Bedingungen würden sie größere soziale Unterschiede akzeptieren.
Eine überwältigende Mehrheit von 85% der Befragten sorgt sich vor allem um die sozialen Sicherungssysteme wie die Alters- und Gesundheitsvorsorge. 75% fürchten, dass sich ihre finanzielle Situation weiter verschlechtert. Ebenfalls brisant ist die Lage am Arbeitsmarkt: 71% der Befragten glauben, dass sie sich verschärft. Fast jeder Zweite (47%) hat Angst um seinen Arbeitsplatz.
McKinsey-Deutschlandchef Jürgen Kluge bezeichnete die Ergebnisse als deutliche Warnung: "Die Zukunftsängste der Deutschen zeigen, dass sie die fundamentalen Probleme unseres Landes deutlich vor Augen haben und in weiten Teilen desillusioniert sind." Die Umfrageergebnisse gäben aber auch klare Hinweise darauf, dass die gegenwärtigen Probleme nicht nur als Systemkrise, sondern auch als Einstellungskrise verstanden werden müssten. "Nach den vielen Jahren wachsender Risikoübernahme durch den Staat sind entscheidende persönliche Ansatzpunkte für Veränderungen wie Flexibilität, Risikobereitschaft, freiwilliges Engagement und Unternehmertum nur noch schwach ausgeprägt", sagte Kluge.
Rund ein Viertel der Bürger (23%) ist stark reformbereit. Diese Gruppe ist tendenziell älter, verfügt über eine hohe Bildung und ein hohes Einkommen. Außerdem finden sich darunter überproportional viele Selbständige und leitende Angestellte. Weitere 62% wären für Reformen zu gewinnen. 15% der Befragten haben resigniert und sind nicht oder nur wenig zu Reformen bereit. Zu dieser Gruppe zählen überwiegend Leute jüngeren und mittleren Alters mit niedrigem Bildungsgrad und Einkommen.
Die Reformbereitschaft hat jedoch Grenzen. So sind nur 35% der Befragten bereit, umfassend privat vorzusorgen, damit die Lohnnebenkosten sinken. Nicht einmal jeder Dritte (28%) würde einen lockereren Kündigungsschutz akzeptieren, wenn dadurch neue Arbeitsplätze entstünden. Die Bereitschaft, persönliche Beiträge zu leisten, besteht jedoch insbesondere dann, wenn Nutzen und Lasten von Ver?änderungen von allen geteilt werden und diese Beiträge als Investition in die Zukunft verstanden werden. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Die Antworten der Bürger zu den Themen Arbeitsmarkt sowie Forschung und Innovation zeigen, dass zwar die Wirkungen, aber nicht alle Ursachen der Krise klar sind. Hier bestehen erhebliche Vermittlungsdefizite.
Persönliche Einschnitte akzeptieren die Bürger, wenn es um die Sicherung von Arbeitsplätzen geht. So würden zwei von drei Deutschen (67%) eine Stunde pro Woche länger ohne Mehrbezahlung arbeiten, wenn sie damit zur Schaffung neuer Jobs beitragen könnten. 54% würden dafür einen Urlaubstag opfern. Mehr als jeder Vierte (26%) würde auf Zusatzzahlungen wie etwa das Weihnachtsgeld verzichten. Knapp die Hälfte der Befragten (48%) möchte stärker leistungsorientiert bezahlt werden - auch bei dann schwankendem Einkommen.
Der Hintergrund von Perspektive-Deutschland
Die Meinungen der Bürger zu bündeln sowie Handlungsspielräume und Lösungsansätze für die Probleme im Land zu finden - das ist der Anspruch von Perspektive-Deutschland. Im Jahr 2001 ging die Internet-Befragung zum ersten Mal online. Damals beteiligten sich rund 170.000 Menschen. Perspektive-Deutschland fragte nach der Zufriedenheit der Bürger mit ihrem Land, nach Erwartungen, Verantwortung und Leistungsbereitschaft. Im vergangenen Jahr stellte Perspektive-Deutschland die Frage: "Wie fit sind die bundesdeutschen Institutionen?" Die Teilnehmerzahl verdoppelte sich auf insgesamt 360.000. Die aktuelle Umfragerunde mit mehr als 450.000 Teilnehmern stand unter dem Motto "Neue Perspektiven für Deutschland". Es ging darum, unter welchen Voraussetzungen die Bürger zu Reformen bereit sind. Die Teilnehmer konnten sich zu sechs zentralen gesellschaftspolitischen Themen äußern: Arbeit und Beruf, Familie und Kinder, Bildung, Forschung und Innovation, gesellschaftliches Engagement und europäische Integration.
Die Auswertungsmethodik für Perspektive-Deutschland wurde in Kooperation mit renommierten, unabhängigen Wissenschaftlern entwickelt. Aktuell beteiligt sind Professoren der Universitäten Mannheim, München, Münster sowie Berkeley. Eine zeitgleiche Offline-Umfrage lässt die für Online-Befragungen typischen Verzerrungen erkennen und erlaubt repräsentative Aussagen für die Gesamtbevölkerung.
Sie können diese Pressemitteilung sowie weitere Ergebnisse, Fotos und Logos zu Perspektive-Deutschland im "Virtuellen Presseraum" unter www.perspektive-deutschland.de abrufen.
Perspektive-Deutschland ist eine Initiative von McKinsey & Company, stern, ZDF und AOL und wird unterstützt von e-fellows.net, ePost, GMX, wissen.de, leo.org, meinestadt.de, ofup.de, Sport1.de.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: Josef Arweck Tel.: 0211-136-4366 E-Mail: Josef_Arweck@mckinsey.com
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