Schwarz-gelbe Energie- und Klimapolitik: Die Rechnung geht nicht auf
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Berlin (ots)
Deutsche Umwelthilfe analysiert fundamentale Widersprüche der schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung - Längere Reaktorlaufzeiten verhindern Eintritt ins "Zeitalter regenerativer Energien" - zusätzliche Kohlekraftwerke machen versprochene Treibhausgasminderung um 80 Prozent zur Illusion - Fortsetzung der Atomenergienutzung sichert Marktdominanz der vier großen Energiekonzerne - DUH-Geschäftsführer Rainer Baake: Umweltminister Dr. Norbert Röttgen muss "Wünsch-Dir-Was-Katalog" in konsistente Energie- und Klimaschutzstrategie verwandeln
Tiefgreifende Konflikte zwischen Umwelt- und Energiepolitikern der neuen Regierungskoalition machen das im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vereinbarte Energie- und Klimaschutzprogramm orientierungslos und in sich widersprüchlich. "Der neue Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen (CDU) steht gleich zu Beginn seiner Amtszeit vor einer Herkulesaufgabe, wenn er aus dem Wünsch-Dir-was-Katalog der Koalitionäre im Nachhinein eine konsistente Energie- und Klimaschutzstrategie machen will", sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), Rainer Baake. In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und FDP einerseits verlängerte Laufzeiten für Atomkraftwerke angekündigt, andererseits den Eintritt in das "regenerative Zeitalter"versprochen, einerseits ein Treibhausgas-Minderungsziel von "mindestens 80 Prozent" bis 2050 gesetzt, andererseits beschlossen, den weiteren Zubau von Kohlekraftwerken zuzulassen. Darüber hinaus sollen die "wettbewerblichen Strukturen auf den Energiemärkten" verbessert werden. "Wer derart widersprüchliche Ziele formuliert, versucht sich an der Quadratur des Kreises und wird scheitern. Die Rechnung geht nicht auf", sagte Baake. Die von der schwarz-gelben Regierungskoalition versprochene "Energiepolitik aus einem Guss" bleibe "solange eine Illusion, wie Röttgen nicht zentrale Aussagen des Koalitionsprogramms in Frage stellt." Dazu gehöre zuallererst die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken.
Im Einzelnen sieht die DUH drei zentrale Widersprüche in den energie- und klimaschutzpolitischen Aussagen des Koalitionsvertrages:
-Das begrüßenswerte Ziel, die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 "um mindestens 80 Prozent" zu mindern, steht in einem unauflösbaren Widerspruch zur gleichzeitig erklärten Absicht, "auch weiterhin den Bau von hocheffizienten Kohlekraftwerken (zu) ermöglichen".
-Die richtige Absicht, die erneuerbaren Energien weiter auf Basis des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) auszubauen und den unbegrenzten Einspeisevorrang zu erhalten, verträgt sich nicht mit einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken; mit zunehmendem Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonne entstehen wachsende Systemkonflikte. -Schließlich untergräbt die Koalition ihre Ankündigung von mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten, indem sie den vier marktbeherrschenden Stromkonzernen mit verlängerten Laufzeiten der Atomkraftwerke zweistellige Milliardengeschenke macht und so deren Übermacht zulasten neuer Marktteilnehmer zementiert.
Zum ersten Punkt: Nach inzwischen gefestigter Überzeugung führender Klimaforscher müssen die Industriestaaten bis 2050 ihre Treibhausgas-Emissionen zwischen 80 und 95 Prozent mindern, wenn es noch eine Chance geben soll, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Die neue Bundesregierung bestätigt das Ziel ausdrücklich. "Übersetzt in das reale Leben bedeutet das, dass es mit dem Drehen an Stellschrauben nicht mehr getan ist. Wir brauchen die vollständige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien binnen vier Jahrzehnten, also nicht mehr und nicht weniger als einen tiefgreifenden Technologie- und Strukturwechsel", sagte Baake. Stattdessen plane die Bundesregierung die Errichtung zusätzlicher Kohlekraftwerke und stelle die Gesellschaft schon in wenigen Jahren vor die Alternative, entweder das Klimaziel aufzugeben oder Milliarden an investiertem Kapital zu vernichten.
Auch die Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid (CCS) sei keine Lösung, jedenfalls nicht für die bei der Kohleverbrennung zur Stromproduktion Jahr für Jahr entstehenden immensen CO2-Frachten. Die in Deutschland voraussichtlich vorhandenen geologischen Lagerkapazitäten seien beschränkt und könnten nur einmal gefüllt werden. Falls sich eine Speicherung in Zukunft als verantwortbar erweise, sollten Kavernen zur Speicherung so genannter "prozessbedingter Emissionen" aus der Industrie reserviert werden, die aus physikalischen Gründen nur um den Preis der Aufgabe einer eigenen Stahl-, Zement- und Chemieindustrie vermieden werden können. Von den prozessbedingten Emissionen fallen derzeit pro Jahr etwa 80 Millionen Tonnen an, etwa ein zehntel der nationalen Gesamtemissionen.
Zum zweiten Punkt: Die DUH begrüßt ausdrücklich die Absicht der neuen Bundesregierung, den Ausbau der erneuerbaren Energien fortzuführen und den unbegrenzten Einspeisevorrang zu erhalten. Nach jüngsten Untersuchungen des Bundesumweltministeriums in der so genannten "Leitstudie 2009" zum künftigen Ausbau der erneuerbaren Energien wird deren Anteil an der Stromerzeugung schon in zehn Jahren bei 36 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie derzeit liegen. Damit die naturgemäß schwankenden Stromeinspeisungen vor allem aus Windstrom ausgeglichen werden können, bedarf es im übrigen Kraftwerkspark wachsender Kapazitäten flexibler Kraftwerke, die immer dann schnell einspringen können, wenn wenig Wind weht. "Atomkraftwerke können genau das aus Sicherheitsgründen nicht, Kohlekraftwerksblöcke rechnen sich nicht mehr, wenn sie nicht fast das ganze Jahr über Strom produzieren.
Seit einem Jahr kommt es an der Leipziger Strombörse immer häufiger zu negativen Strompreisen, weil bei kräftigem Wind und eher geringem Strombedarf die Betreiber großer, unflexibler Kraftwerke auf Basis von Kohle und Uran lieber dafür bezahlen, dass ihnen jemand ihren überschüssigen Strom abnimmt, als ihre Anlagen herunterzufahren. "Die Koalition, die es mit ihrem energiepolitischen Programm allen, außer den Atomkraftgegnern, recht machen will, hat für diesen Systemkonflikt keine Lösung", erläuterte Baake. Sie verschärfe ihn mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sogar. Wachsende Anteile erneuerbarer Energien und Atomkraft passen vom System her nicht zusammen. Baake: "Negative Strompreise an der Börse werden unter diesen Umständen jedes Jahr mehr zum ständigen Begleiter der Konzerne - niemand sollte erwarten, dass E.ON und Co freiwillig und immer mehr dafür bezahlen, dass sie ihren Überschussstrom los werden." Viel wahrscheinlicher sei es, dass die Konzerne in einer solchen Situation den Kampf gegen den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland offen oder verdeckt in alter Härte wieder aufnehmen. Zwar sei die Absicht der Koalition zu begrüßen, intelligente Netze, Stromspeicher und virtuelle Kraftwerke zu fördern. Diese seien dringend erforderlich. Doch würden diese Maßnahmen nicht rechtzeitig im notwendigen Umfang zur Verfügung stehen, um den beschriebenen Systemkonflikt zwischen dem verlängerten Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und dem Ausbau der Erneuerbaren zu lösen.
Zum dritten Punkt: Die derzeit 17 Atomkraftwerke befinden sich fast vollständig im Besitz der vier Energiekonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, die mehr als 80 Prozent des konventionellen Stroms produzieren. Diese Marktdominanz beklagen seit vielen Jahren Politiker jeglicher Couleur. Die Kartellbehörden der EU und des Bundes haben den Konzernen in den vergangenen Jahren immer wieder in verschiedenen Verfahren den Missbrauch ihrer Marktmacht vorgeworfen (etwa das Bundeskartellamt, das auf Basis von Unterlagen aus Durchsuchungen von Firmensitzen RWE und E.ON die Bildung eines "wettbewerblosen Duopols" vorwarfen).
Mit der geplanten Laufzeitverlängerung würde die Koalition ausgerechnet diesen Konzernen ein Geschenk in hoher zweistelliger Milliardenhöhe machen und die bereits heute allseits beklagten Strukturen zulasten des Wettbewerbs zementieren. "Der Effekt ist ein doppelter", erläuterte Baake. Zum einen päppele die Bundesregierung mit dem Programm die großen Vier finanziell gegenüber der unterlegenen Konkurrenz. Zum andern bleibe der im Atomausstiegsgesetz fixierte stufenweise Wegfall von etwa einem Viertel der nationalen Stromerzeugungskapazität aus. "Das Fenster der Gelegenheit, durch das neue Marktakteure in den deutschen Erzeugungsmarkt einsteigen sollten, soll damit bereits wieder fest verschlossen werden, bevor es sich geöffnet hat". Aus diesem Grund habe sich auch das Bundeskartellamt kürzlich sehr entschieden gegen verlängerte Laufzeiten ausgesprochen. Die in der Koalitionsvereinbarung angekündigten Maßnahmen zur Verbesserung wettbewerblicher Strukturen wirkten vor diesem Hintergrund geradezu rührend.
Erstes Opfer der dauerhaften Verfestigung der Marktdominanz der vier Atomkonzerne könnten nach Überzeugung der DUH die Ausbauplanungen von Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee sein - und damit die Hoffnungen der Küstenländer auf einen Wirtschaftsboom in strukturschwachen Regionen. Viele genehmigte Projekte wurden inzwischen von den vier Konzernen aufgekauft. Es bestehe die große Gefahr, dass die Aussicht auf Laufzeitverlängerungen dazu führt, dass die Konzerne die Offshore-Windparks auf Eis legen. Baake forderte den neuen Bundesumweltminister auf, "in der Koalition eine Diskussion darüber zu entfachen, ob Laufzeitverlängerungen angesichts der bereits jetzt erkennbaren Blockade anderer Ziele der Koalition der richtige Weg sind". In jedem Fall müsse die Bundesregierung Investitionen im Offshore-Windsektor über Bürgschaftsprogramme oder andere geeignete Maßnahmen auch für mittelständische Unternehmen möglich machen.
Anlage: Grafik 1: Warum zusätzliche Kohlekraftwerke und Klimaziele der Bundesregierung nicht zusammen passen.
Grafik 2/3: Warum längere Laufzeiten von Atomkraftwerken und der Ausbau erneuerbarer Energien zu einem Systemkonflikt führen
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178
Berlin; Mobil: 0151 550169 43, Tel.: 030 2400867-0, Fax: 030
2400867-19, E-Mail: baake@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
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2400867-19, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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