Deutsche Umwelthilfe zieht Bilanz 2009:Nach Kopenhagen zu Hause handeln
Berlin (ots)
Scheitern von Kopenhagen erfordert mehr denn je Vorreiterrolle Deutschlands und Europas - EU-Sondergipfel soll 30-Prozent Ziel bis 2020 festschreiben - Bundesregierung muss angekündigten "Weg ins regenerative Zeitalter" mit Taten untermauern, statt alte Strukturen zu konservieren - DUH will angesichts der Enttäuschung von Kopenhagen 2010 verstärkt gegen Vollzugs- und Umsetzungsdefizit im Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz vorgehen - Organisation ist auch 2009 weiter gewachsen
Nach dem Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen geraten auch die nationalen Klimaschutzziele unter Druck. Insbesondere die von der Bundesregierung gegenüber 1990 angestrebte CO2-Reduktion um 40 Prozent bis 2020 werde von Teilen der Wirtschaft und ihren Verbänden unter Hinweis auf die "internationale Wettbewerbsfähigkeit" massiv in Frage gestellt. Das erklärten Rainer Baake und Jürgen Resch, die Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), anlässlich ihrer Jahresbilanz und der Vorstellung des DUH-Jahresberichts 2009 heute in Berlin. Sie forderten die Bundesregierung auf, den "Pressionen aus den Chefetagen der Traditionsindustrien jetzt nicht nachzugeben". Es sei angesichts der Sackgasse, in die die weltweite Klimadiplomatie geraten sei, heute "wichtiger denn je, dass Deutschland und Europa ihre selbst beanspruchte Vorreiterrolle im Klimaschutz auch wahrnehmen". Die DUH forderte, auf einem EU-Sondergipfel im Januar 2010 eine 30-prozentige CO2-Reduktion bis 2020 zu beschließen und sich gegenüber der UNO auf dieses Ziel zu verpflichten.
Der Klimagipfel von Kopenhagen sei umfassend gescheitert. Dafür habe es viele Gründe gegeben, wie z. B. die mangelnde Organisation der Konferenz und die spezifischen Probleme der Konsensfindung im UNO-Prozess. Die Ursache und Verantwortung für das Scheitern liege jedoch vor allem bei den beiden Mächten, die Weltmacht bleiben oder Weltmacht werden wollen und sich schon jetzt in einer entsprechenden Konfrontation sähen: Den USA und China.
Die aktuelle Weltmacht USA erhebe den Anspruch auf politische Führung, verweigere sie jedoch konsequent, wenn es darum gehe, einen Weg aus der Klimakrise zu weisen, erklärte Baake. Politische Führung hätte bedeutet, aus der Anerkennung des Zwei-Grad-Ziels Konsequenzen zu ziehen, statt sich hinter innenpolitischen Zwängen zu verstecken. Diese seien zwar unübersehbar. Doch wenn die neue Administration die Durchsetzung ambitionierter Reduktionsziele in den USA für 2020 nicht für durchsetzbar halte, dann hätte sie glaubwürdig eine Beschleunigung der Dekarbonisierung für die nachfolgenden Jahrzehnte anbieten müssen. Auch dies sei nicht geschehen.
China als inzwischen weltgrößter CO2-Emittent mit globalem Machtanspruch blockiere ähnlich brachial den klimapolitischen Fortschritt. Statt Lösungen für die Zukunft anzubieten, verstecke sich die chinesische Führung hinter der unbestrittenen historischen Verantwortung der traditionellen Industrieländer für das Klimaproblem. Ohne eine verifizierbare Begrenzung der künftigen Emissionen Chinas sei jedoch die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels praktisch aussichtslos.
Deutschland und Europa hätten es in Kopenhagen nicht vermocht, diese Blockade mit einer strategischen Allianz zwischen willigen Industriestaaten (z. B. EU und Japan) und der großen Gruppe der Entwicklungsländer zu durchbrechen. Die selbsternannten Vorreiter hätten sich kampflos an den Rand drängen lassen.
Im "Copenhagen Accord" sei verabredet worden, dass die Industriestaaten bis zum 31. Januar 2010 ihre Klimaziele für 2020 quantifizieren. "Wir fordern, dass die EU jetzt ohne Wenn und Aber eine Reduktion ihrer Emissionen um 30 Prozent zusagt", so Baake. Die Antwort Europas auf die bislang schwerste Krise im Klimaprozess dürfe nicht Verzagtheit sein. Baake forderte Kanzlerin Merkel auf, eine Initiative für einen EU-Sondergipfel im Januar zu starten, auf dem die EU die notwendigen Beschlüsse fassen müsse.
"Innenpolitisch verlangen wir von der Bundesregierung im bevorstehenden Jahr 2010 einen konkreten Plan, wie die zugesagte Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40% bis 2020 und von 80 bis 95% bis 2050 konkret umgesetzt werden soll." In Kopenhagen sei innerhalb der Staatengemeinschaft ein großes Misstrauen entstanden. Glaubwürdigkeit heiße daher jetzt das Gebot der Stunde. "Wir müssen beweisen, dass ein Industrieland seine Treibhausgaslast schrittweise herunterschrauben und seinen Bürgerinnen und Bürgern dennoch oder gerade deshalb ein gutes Leben bieten kann", so Baake. Das "gute Leben" ergebe sich nicht aus der rein quantitativen Steigerung des Bruttoinlandsprodukts; im Kern gehe es heute um qualitatives und nachhaltiges Wachstum aus dem eine neue Lebensqualität entstehe.
Intelligenter Klimaschutz müsse vom Ziel her denken. So sei nicht alles, was kurzfristig zur Reduktion von CO2-Emissionen beitrage, mittelfristig sinnvoll. Zum Beispiel sinke der CO2-Ausstoß zunächst, wenn ein neues Kohlekraftwerk ein altes gleicher Leistung ersetze. Gleichzeitig verhinderten diese Investitionen in den langfristigen Kapitalstock jedoch, dass die zugesagten Klimaziele in den folgenden Jahrzehnten erreicht werden könnten.
Für die DUH bedeute das Scheitern der Weltklimakonferenz, "dass der Kampf um den Klimaschutz auf unabsehbare Zeit ein Schwerpunkt unserer Arbeit bleiben muss", sagte Baake. Wenn heute ein von der CDU gestellter Bundesumweltminister erkenne, dass es nur mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien gelingen könne, die langfristigen Klimaziele zu erreichen, "dann brauchen wir einen produktiven Streit über die Frage, wie wir dieses Ziel in Deutschland auf dem schnellsten Weg erreichen können". Der Weg ins regenerative Zeitalter führe über intelligente Stromnetze, neue Speichertechnologien, wesentlich effizientere Produkte, übergangsweise auch über emissionsarme gut regelbare Gaskraftwerke. Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke und neue klimaschädliche Kohlekraftwerke verzögerten und behinderten dagegen die notwendige Modernisierung der Energiewirtschaft. "Wir werden der Bundesregierung nicht durchgehen lassen, dass sie Klimaschutz, Modernisierung und fairen Wettbewerb verspricht, dann aber Bestandssicherung für marktbeherrschende Unternehmen und Konservierung alter Industriestrukturen betreibt", sagte Baake.
Resch erklärte, die DUH beobachte "mit großer Sorge, dass in Deutschland Anspruch und Wirklichkeit beim Umwelt-, beim Klima- aber auch beim Verbraucherschutz immer weiter auseinander klaffen". Auch dies mache die Zielerreichung beim Klimaschutz, aber auch bei der Luftreinhaltung immer schwerer. Dies betreffe Staat und Wirtschaft gleichermaßen. Einerseits würden von Seiten des Staates immer mehr Umwelt- oder Klimaschutzregelungen in Gesetze und Verordnungen gegossen. Unter Unternehmen gehöre es zum guten Ton, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Andererseits würden die Einhaltung und der Vollzug von Gesetzen und freiwilligen Verpflichtungen immer weniger kontrolliert.
Wenn Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen wie die DUH sich bemühten, dieses wachsende Defizit öffentlich zu machen, würden sie teilweise aktiv behindert. Als Beispiele nannte Resch das zähe Ringen um Umweltinformationen, die Verbänden und Einzelpersonen gesetzlich zustehen, die aber regelmäßig erst vor den Gerichten erstritten werden müssen. So sei es etwa bei der Kontamination von Fruchtgetränken mit Druckchemikalien erst nach einem jahrelangen Gang durch alle Gerichtsinstanzen gelungen, aus dem Verbraucherschutzministerium entsprechende Informationen über die Belastungen zu erhalten. Immer noch würden das Klima und die Ozonschicht schädigende Stoffe aus ausrangierten Kühlgeräten nicht gesetzeskonform entsorgt. Das Ergebnis seien erhebliche Klimabelastungen, die in keinem Klimabericht auftauchten. Die Autoindustrie könne den Einbau von Klima schonenden Klimaanlagen in neue Pkw erst ankündigen und dann verwerfen, ohne dass dies zu einem scharfen Durchgreifen auf EU- oder nationaler Ebene führe. Die Einhaltung der Energiesparverordnung im Neubaubereich werde praktisch nirgends überprüft - ob die mit der Verordnung und entsprechenden Förderprogrammen erhoffte CO2-Einsparung tatsächlich erreicht würde, sei deshalb äußerst zweifelhaft.
Resch kündigte an, dass "die DUH im kommenden Jahr 2010 intensiver und aggressiver gegen diejenigen vorgehen wird, die Klimaschutzmaßnahmen versprechen und sich dann nicht für den Vollzug interessieren oder sie systematisch nicht einhalten." Da angesichts der prekären Situation der öffentlichen Haushalte auch in Zukunft nicht mit einer stärkeren staatlichen Überwachung von Umweltschutzanforderungen zu rechnen sei, forderte die DUH für die Zukunft mehr Unterstützung und Kompetenzen für diejenigen, die in immer größerem Ausmaß Überwachungs- und Vollzugsaufgaben des Staates übernehmen.
Auch im vergangenen Jahr 2009 ist die DUH weiter gewachsen. Insbesondere die Abteilungen Verkehr/Luftreinhaltung und Energie/Klimaschutz konnten ausgebaut und die Aktivitäten der DUH auf diesen Feldern weiter verstärkt werden. Die Deutsche Umwelthilfe fühlt sich deshalb gut gerüstet, ihre Arbeit für Umwelt- und Verbraucherschutz im Jahr 2010 mit noch größerer Intensität fortsetzen zu können.
Den federführend von der Sprecherin Politik & Presse der DUH, Ulrike Fokken, erstellten Jahresbericht 2009 der DUH finden Sie als PDF unter www.duh.de.
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e. V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0, 0151 55016943,
baake@duh.de
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e. V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Mobil.: 0171 3649170, resch@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse, Deutsche Umwelthilfe e.
V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 240086-0, 0171
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