Autoindustrie hintertreibt Rußfilter-Nachrüstung
Berlin (ots)
Brief von VDA-Präsident Gottschalk zeigt, wie Politik in Deutschland funktioniert - Deutsche Umwelthilfe fordert Bundesländer auf, die Zulassung von Nachrüstfiltern morgen wie vorgesehen im Bundesrat zu verabschieden.
Berlin, 20. Dezember 2005: Entgegen ihren öffentlichen Verlautbarungen hintertreiben der Verband der Automobilindustrie (VDA) und einige seiner Mitglieder weiter eine wirksame Rußfilter-Nachrüstung in Deutschland. Das geht zweifelsfrei aus einem Schreiben des VDA-Präsidenten Bernd Gottschalk vom 24. November 2005 an die zuständigen Länderminister hervor, das der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) vorliegt. Mit dem Brief will Gottschalk in letzter Minute verhindern, dass der Bundesrat am morgigen Mittwoch die bereits bei der EU in Brüssel notifizierten "Technischen Vorschriften für Partikelminderungssysteme" endgültig verabschiedet. Mit der Zustimmung der Länderkammer wäre der Weg für die Zulassung und den Verkauf entsprechender Systeme dagegen endlich frei.
"Die Automobilindustrie treibt erneut ein zynisches Spiel mit der Gesundheit der Menschen in den mit hohen Feinstaubkonzentrationen belasteten Ballungszentren. Nach der Verhinderung einer Kennzeichnung rußfreier Fahrzeuge im Spätsommer soll der Bundesrat ein zweites Mal im Sinne einiger mächtiger Unternehmen instrumentalisiert werden. Das ist Raubtierlobbyismus pur", so DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. "Uns liegt ein seltenes Dokument vor. Nur in Ausnahmefällen gelingt es, diese Form der 'Politikberatung' anhand von Schriftstücken belegen zu können, denn: Nur einen Tag nach dem VDA-Schreiben verfasste die bayerische Staatsregierung einen ebenfalls der DUH vorliegenden Vermerk für den Bundesrat, in dem die erbetene Richtungsänderung entsprechend den Wünschen der Autoindustrie umgesetzt wurde."
Nach Beobachtung der DUH häufen sich die Fälle, in denen sich Bundesländer von den automobilen Interessen einiger Großkonzerne willfährig lenken lassen - gegen die Interessen ihrer Bürger. Resch erinnerte daran, dass das alte Bundeskabinett im Spätsommer eine auf Staatssekretärsebene bereits abgestimmte Verordnung für eine wirksame Kennzeichnung rußarmer Fahrzeuge nach einer Intervention des damaligen Innenministers Otto Schily nicht mehr verabschiedet hatte. Die DUH hatte seinerzeit die Automobilindustrie als Urheber des überraschenden Schily-Einspruchs ausgemacht. Im Oktober verabschiedete dann der Bundesrat ebenfalls unter dem Druck der Autolobby einen Gegenentwurf, nach dem eine Kennzeichnung alle Diesel-Neufahrzeuge, unabhängig davon ob sie über einen Partikelfilter verfügen oder nicht, die gleiche "grüne Plakette" erhalten sollten, die die freie Fahrt in die innerstädtischen Feinstaub-Belastungszonen auch für die Zukunft garantiert. Der VDA verweist in seinem Schreiben vom 24. November 2005 an die Länderminister auf diesen Erfolg, der einer vorsätzlichen Verbrauchertäuschung gleichkommt, und behauptet, diese beiden Regelungen seien nun nicht mehr kompatibel.
"Täuschen, tricksen, manipulieren, verzögern, das sind die Handlungsmaximen der Autohersteller. Es ist für die Demokratie eine Blamage, dass Länder wie Baden-Württemberg und Bayern auf Druck des VDA, von Daimler Chrysler, BMW und MAN für eine Vertagung und Verwässerung der technischen Vorschriften für Nachrüst-Rußfilter im Bundesrat trommeln", so Resch. Die Bundesländer rief Resch auf, nicht auf die Nebelkerzen der Autolobby hereinzufallen und die Kommunen in ihrem Kampf gegen das Feinstaubdesaster zu unterstützen. Die Verordnung müsse morgen unverändert im Bundesrat verabschiedet werden. Sonst drohe Deutschland nicht nur eine Schwemme betrügerischer Billig-Filter. Jede Änderung am Verordnungsentwurf der Bundesregierung führt wegen der dann notwendigen erneuten Notifizierung in Brüssel zu einer mindestens neunmonatigen Verzögerung bei der Einführung der Nachrüstfilter.
In seinem Schreiben an die zuständigen Länderminister legt Gottschalk in seltener Offenheit die Motive der Automobilindustrie dar. Dem VDA geht es darum, mit der Verzögerung der Filter-Spezifikationen die Besitzer älterer Diesel-Pkw und Nutzfahrzeuge vor der Entscheidungsalternative "Einbau eines Nachrüstfilters" oder "Neukaufs eines Pkw oder Lkw" in die zweite Richtung zu manipulieren. Die Kernaussagen dieses Briefes sind: Der VDA unterstütze die Bemühungen von Bund und Ländern zum "raschen Ausscheiden älterer Fahrzeuge aus dem Bestand." Und: "Die Mitglieder des Bundesrates werden ... gebeten, der 29. VO der STVZO nicht zuzustimmen."
Gegen einen "ergänzenden Anreiz zur Ausrüstung neuer Fahrzeuge mit Partikelfiltern über eine Kennzeichnungsverordnung" verwahrt sich Gottschalk mit der falschen Behauptung: "Dieser Zug ist längst abgefahren". In Wirklichkeit verkaufen Volkswagen, Skoda, Seat, Smart oder Chrysler nach wie vor den überwiegenden Teil ihrer Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter. Bei Nutzfahrzeugen wie Lkws und Bussen von MAN und Mercedes-Benz ist es noch schlimmer: Hier wollen die Marktführer auf die derzeit bei bis zu 50% der Neufahrzeugen eingebauten Rußfilter zukünftig verzichten und - ebenso wie beim Smart nur minder wirksame, Billigsysteme einsetzen, deren Partikelemissionen um ein Vielfaches höher sind als es dem Stand der Technik entspricht.
"Wer regiert eigentlich dieses Land?", fragt Resch angesichts der seit Jahren mit allen Finessen geführten Verzögerungstaktik der Automobilindustrie. "Die Länder müssten den Brief des VDA eigentlich empört zurückweisen und endlich die Voraussetzungen für saubere Luft in deutschen Städten schaffen. Und die neue Bundesregierung muss den Kennzeichnungsentwurf für saubere Dieselfahrzeuge aus dem Spätsommer nochmals dem Bundesrat zuleiten um so Städte und Kommunen bei ihren Anstrengungen zur Verbesserung der Luftqualität nicht länger im Stich zu lassen."
Für Rückfragen:
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030/ 25 89 86-0 Tel.: 0171/ 3649170, E-Mail: resch@duh.de
Gerd Rosenkranz, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030/ 25 89 86-15, mobil 0171/ 56 60 577, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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