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Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel: Generalsekretär des Zentralrats der Juden bedauert Hitler-Vergleich im Zusammenhang mit Sarrazin

Berlin (ots)

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Stephan Kramer, hat seinen Hitler-Vergleich im 
Zusammenhang mit der Ausländerkritik des früheren Berliner 
Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) bedauert. "Ich wollte Sarrazin 
nicht unterstellen, wie Hitler und Goebbels zu sein - das ist 
überzogen -, wohl aber, die Sprache und Gedanken der heutigen 
Neonazis zu verwenden", schreibt Kramer in einem Beitrag für den in 
Berlin erscheinenden Tagesspiegel (Dienstagsausgabe). Nazivergleiche 
seien immer problematisch, daher müsse er sich jetzt selbst 
kritisieren. Weiter schreibt Kramer: "Die Parallele war auch der 
Sache selbst nicht dienlich, droht doch der Wirbel um den Vergleich 
Sarrazin im Kampf um seinen schmählich verlorenen Ruf zu helfen. Das 
wäre erst recht bedauerlich." Er bleibe bei seiner Einschätzung, dass
Sarrazins Äußerungen rassistisch seien und auf niedrigste Instinkte 
zielten. Thilo Sarrazin hatte sich kritisch zu in Berlin lebende 
Türken und Araber geäußert und damit für große Empörung gesorgt.
Den vollständigen Text, der am Dienstag im Tagesspiegel erscheint,
finden Sie im Folgenden:
"Fehler sollte man eingestehen. Als ich Thilo Sarrazin wegen 
seiner migrantenfeindlichen Äußerungen der geistigen Nähe zum 
Nationalsozialismus zieh, beging ich einen doppelten Fehler. Erstens,
weil Nazivergleiche problematisch sind. Ich selbst habe sie immer 
kritisiert. Kritik muss dann aber auch zu Selbstkritik führen. Ich 
wollte Sarrazin nicht unterstellen, wie Hitler und Goebbels zu sein -
das ist überzogen -, wohl aber, die Sprache und Gedanken der heutigen
Neonazis zu verwenden.
Die Parallele war auch der Sache selbst nicht dienlich, droht doch 
der Wirbel um den Vergleich Sarrazin im Kampf um seinen schmählich 
verlorenen Ruf zu helfen. Das wäre erst recht bedauerlich. Deshalb 
möchte ich meine Kernaussage wiederholen: Sarrazins Äußerungen sind 
rassistisch und zielen auf niedrigste Instinkte. Sie verraten ein 
Weltbild, das mit der biblischen Botschaft, Gott habe alle Menschen 
nach seinem Ebenbild geschaffen, unvereinbar ist. Und man muss nicht 
fromm sein, um dieses Prinzip als die Grundlage jeglichen 
menschlichen Miteinanders anzuerkennen. Das aber tut Sarrazin nicht, 
denn nur als Rassist kann man "Türken und Araber" verächtlich in den 
Berliner Gemüsehandel verweisen. Und wie viel Menschenhass muss 
jemand wie Sarrazin empfinden, der ganze Menschengruppen als 
Unterschicht definiert und ihr Recht auf Fortpflanzung infrage 
stellt? Der Arbeitslose wie Alleinerziehende, Türken wie Araber in 
einen Topf wirft und stigmatisiert?
Der Ton, so die bekannte Redensart, macht die Musik. Auch bei Thilo 
Sarrazin lohnt es sich, in den Ton hineinzuhören, um zu begreifen, 
welche Register er zieht. Ihn stören die "kopftuchtragenden Mädchen" 
aus moslemischen Familien. Vor genau 130 Jahren schrieb Heinrich von 
Treitschke, wütiger deutscher Antisemit des 19. Jahrhunderts: "Über 
unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen 
polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge 
herein." Gemeint waren Juden. Ob "kopftuchtragende Mädchen" oder 
"hosenverkaufende Jünglinge": Die Melodie ist auf erschreckende Weise
gleich. Von demselben Treitschke stammte übrigens der später vom 
"Stürmer" zum Motto erhobene Spruch: "Die Juden sind unser Unglück."
Da hilft auch Sarrazins plumpe Anbiederung nicht, osteuropäische 
Juden hätten einen um fünfzehn Punkte über dem Durchschnitt liegenden
Intelligenzquotienten. Die Integrationsprobleme, die die deutsche 
Gesellschaft im frühen 21. Jahrhundert plagen, sind sozialen und 
kulturellen Ursprungs, nicht aber genetisch bedingt. Eine genetische 
Einteilung der Menschheit in Superkluge und Dumme, Nutzbringende und 
Nutzlose, Oberschicht und Unterschicht - das ist Rassismus pur. Und 
mit Rassismus wird Deutschland die Integrationsprobleme nicht etwa 
lösen, sondern sie verschärfen. Am Ende droht sich die rassistische 
Weissagung der Sarrazins selbst zu erfüllen. Auch deshalb sind die 
deutsche Politik und Gesellschaft aufgefordert, dem Rassismus eine 
klare Abfuhr zu erteilen. Wir brauchen keine menschenverachtenden 
Stammtischparolen, sondern eine Debatte, die Probleme nicht nur 
nennt, sondern auch deren Lösung sucht. Bessere Bildung ist ein Muss.
Gewiss, Integration ist nicht nur eine Bringschuld der Mehrheit, 
sondern auch eine Holschuld der Minderheit. Toleranz hier, 
Integrationswilligkeit dort: Nur auf dieser Grundlage kann eine 
tragfähige Brücke für die Begegnung von Menschen aus 
nicht-identischen Kulturkreisen entstehen."

Pressekontakt:

Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de


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