Der Tagesspiegel: Neuer Spitzenkandidat der Hamburger SPD bescheinigt rot-grüner Koalition schlechten Start in die Legislaturperiode
Berlin (ots)
Der neue Spitzenkandidat der Hamburger SPD, Thomas Mirow, hat der rot-grünen Bundesregierung einen schlechten Start in die Legislaturperiode bescheinigt. "In einigen Punkten hat die SPD zu sehr geschwankt", sagte Mirow dem Tagesspiegel und führte als Beispiele die Debatten um Pendlerpauschle und Gesundheitsreform an. Gleichzeitig fordert er von seinen Parteigenossen, den Begriff Gerechtigkeit "in einer sich verändernden Zeit" genau zu definieren. "Zu viele Menschen wenden sich ab, weil sie den Überblick verloren haben", sagte Mirow.
Das Interview im Wortlaut:
Die SPD eilt von Wahlschlappe zu Wahlschlappe. Können Sie als Spitzenkandidat in Hamburg nicht einpacken, wenn dieser Trend anhält? Mirow: Jede Landtagswahl wird von der Großwetterlage mit bestimmt. Es gibt aber auch örtliche Faktoren, gerade hier in Hamburg. Klar ist: Ich habe wie alle anderen in der SPD ein unbedingtes Interesse, dass wir auf Bundesebene wieder Erfolg ha-ben.
Was sind die Gründe für den Absturz? Der eine ist: Es muss jetzt besonders viel verändert werden, weil Deutschland seit 1990 vor allem die Folgen der Teilung überwinden musste und dabei Zeit und Ressourcen für notwendige Reformen verloren hat. Aber die SPD hat auch nicht klar genug gemacht, wie groß der Reformbedarf wirklich ist und wohin die Reise gehen soll. Zu viele Menschen wenden sich ab, weil sie den Überblick verloren haben. Das muss sich ändern.
Ein Problem der Vermittlung, nicht der Inhalte? Wir haben es in der laufenden Debatte mit Einschnitten zu tun, die für viele schmerzhaft sind. Deshalb gibt es einen hohen Bedarf, die Ziele der aktuellen Reformen darzustellen. Dazu gehört auch, dass Lasten nicht einseitig verteilt werden und dass die Solidarität mit den Schwächeren gewahrt bleibt. Die Menschen müssen der SPD zutrauen, für Gerechtigkeit zu sorgen. Sonst wird die Partei ihren Rückhalt verlieren. Aber wir müssen sehr genau sagen, was Gerechtigkeit in einer veränderten Zeit heißt.
Sie sprechen von der Debatte: Verteilungsgerechtigkeit kontra Chancengerechtigkeit? Nicht nur - doch das eine schließt das andere nicht aus. Was bei Managergehältern zum Beispiel läuft, ist für viele Menschen schlicht inakzeptabel. Verteilungsgerechtigkeit bleibt für die SPD ein wichtiges Thema. Aber Chancengerechtigkeit entscheidet heute mehr denn je über die individuellen Lebenswege.
Braucht die SPD wieder mehr Systemkritik in ihrer Politik? Identifiziert sie sich zu stark mit dieser Wirtschaftsunordnung? Das ist ein schwieriges Thema, allerdings nicht nur ein deutsches. In der ganzen Welt mangelt es an einem Leitbild für eine menschliche und lebenswerte Gesellschaft, die auf Wohlstand und Erfolg baut, aber nicht einseitig an Wettbewerbs-, Markt- und Gewinninteressen ausgerichtet ist. Nach der Niederlage des sogenannten Sozialismus in Mittel- und Osteuropa und der verdeckten Entwicklung in China ist hierüber sicher nicht genügend nachgedacht worden.
Kommen wir zur Performance. Gefällt Ihnen, wie der Kanzler und die Spitzenakteure Ihrer Partei agieren? In dieser Legislaturperiode gab es einen schlechten Start. Seit der Agenda-Rede des Kanzlers hat die SPD eine konsistente Linie. Aber in einigen Punkten hat sie zu sehr geschwankt und für Verwirrung gesorgt, zum Beispiel bei der Pendlerpauschale oder der Gesundheitsreform.
Würde die SPD denn Wahlniederlagen in Nordrhein-Westfalen überstehen? Unsere Basis sind die Kommunen, die Städte und Gemeinden. Niederlagen in NRW wären für die SPD verheerend. Denn Nordrhein- Westfalen ist das Herzland der Sozialdemokratie. Wir in Hamburg wollen im übrigen zeigen, dass die SPD große Städte auch zurück erobern kann.
Sie stehen vor einem Bundesparteitag. Wie kann ein Fahrplan zum Erfolg aussehen? Erstens: Deutlich machen, dass an den Veränderungen kein Weg vorbei führt. Zweitens: sichtbar machen, was wir in dieser Legislaturperiode noch bewältigen wollen. Und drittens: erklären, was unsere längerfristigen Ziele sind, auch über die Agenda 2010 hinaus.
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