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Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel: Verfassungsschutz warnt vor Rückkehr islamistischer Söldner aus dem Irak

Berlin (ots)

Der Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz, Heinz Fromm, befürchtet eine weitere Zunahme der
Terrorgefahr in Deutschland. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel verwies
Fromm unter anderem auf Islamisten, die nach ihrem Einsatz im Irak
wieder in die Bundesrepublik zurückkehren. "Wir machen uns Sorgen,
weil Leute mit Kampferfahrung Kristallisationspunkte gewaltbereiter
Gruppierungen sein können", sagte Fromm. Er verglich die Situation
mit der Gefahr, der Deutschland seit der Heimkehr von Islamisten aus
den Trainingscamps der Al Qaida in Afghanistan ausgesetzt ist. Diese
Kämpfer genössen in den militanten Milieus "besonderes Ansehen".
Fromm: "Sie können junge Leute ansprechen und für den Dschihad
(Heiligen Krieg) begeistern". Nach den Erkenntnissen des
Verfassungsschutzes sind bislang allerdings nur wenige Islamisten aus
dem Irak zurückgekehrt. Die Zahl der Kampfeswilligen, die aus
Deutschland in Richtung Bagdad aufbrachen, haben Sicherheitsexperten
gegenüber dem Tagesspiegel bereits auf bis zu 50 geschätzt.
Das Interview folgt im Anhang als Wortlaut.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Telefon 030/26009-430
Nach dem Geiseldrama von Beslan herrschen Entsetzen und
Verwirrung. Haben tschetschenische Separatisten gemordet, waren
heimische Islamisten mit Verbindung zu Al Qaida beteiligt oder
Araber?
Die Dimension des Angriffs ist selbst für diese seit langem von
Krieg und Terrorismus geplagte Region ungewöhnlich. Beslan ist ein
schrecklicher Höhepunkt. Über die Herkunft der Täter haben wir noch
keine genauen Informationen. Der Tschetschenien-Konflikt wird
allerdings zunehmend ein Kampfplatz für den Dschihad, den globalen
Heiligen Krieg.
Warum eignet sich der Kampfplatz Tschetschenien so gut für den
Dschihad?
Dschihadisten können auf dem separatistischen Widerstand aufbauen
und ihn für ihre Zwecke nutzen. Außerdem sind viele Waffen vorhanden
und das schwer zugängliche Gelände begünstigt Terrorismus. Und die
Konfrontation von Tschetschenen und Russen findet in der muslimischen
Welt ähnliche Resonanz wie der Krieg im Irak.
Schadet die hohe Zahl toter Kinder in Beslan dem Ansehen der
islamistischen Kämpfer? Selbst der im Untergrund lebende
tschetschenische Präsident Aslan Maschadow hat das Geiseldrama
verurteilt.
Es ist in der Tat zu hoffen, dass die furchtbaren Bilder aus
Beslan dem militanten Islamismus schaden. Wir müssen die Resonanz in
den einschlägigen Milieus abwarten. Bislang haben sich weder Al Qaida
noch die Propagandisten auf islamistischen Homepages zu Wort
gemeldet. Sollte es überraschenderweise keine der sonst üblichen
Reaktionen geben, wäre das allerdings auch ein Zeichen.
Wie groß ist die Gefahr, dass islamistische Terroristen auch in
Deutschland ein „weiches Ziel“ wie eine Schule angreifen – um
beispielsweise die Bundeswehr zum Rückzug aus Afghanistan zu zwingen?
Wir haben keinerlei Hinweise, dass in Deutschland Islamisten, die
mit dem tschetschenischen Widerstand sympathisieren oder überhaupt
mit dem Dschihad, ein solches Verbrechen planen.
Sehen Sie nach Beslan, den kurz zuvor verübten Anschlägen auf zwei
russische Flugzeuge und dem Selbstmordattentat in Moskau eine erhöhte
Anschlagsgefahr für russische Einrichtungen wie die Botschaft in
Berlin? Immerhin haben Tschetschenen schon 2002 versucht, die
russische Botschaft in Paris anzugreifen.
Nach unserem Kenntnisstand handelt es sich bei den Attentätern von
Paris nicht um Tschetschenen, sondern um Personen aus dem Bereich der
arabischen Mudschahedin. Im Übrigen sehen die Sicherheitsbehörden des
Bundes seit längerer Zeit auch für russische Einrichtungen in
Deutschland eine höhere Gefährdung. Für militante Islamisten haben
aber nach wie vor andere Ziele Priorität, vor allem amerikanische –
weil sich ein Anschlag auf eine US-Einrichtung von alleine vermitteln
würde.
Wie stark ist der tschetschenische Widerstand in der
Bundesrepublik?
Soweit wir das sehen, gibt es nur eine kleine Zahl von Personen,
die damit sympathisieren. Aber es ist nicht in jedem Fall möglich,
überhaupt festzustellen, wer Tschetschene ist. Diese Leute haben die
russische Staatsangehörigkeit. Sie fallen in der Regel erst auf, wenn
sie sich im Sinne des tschetschenischen Terrors äußern oder
betätigen. Solange keine Gesetze verletzt werden, können die
Sicherheitsbehörden nicht eingreifen.
Der Bundesrepublik ist bislang zumindest im Inland ein
islamistischer Anschlag mit Toten und Verletzten erspart geblieben.
Es gab „nur“ drei Fälle geplanter Attentate, die rechtzeitig
vereitelt wurden …
… aber schon diese Fälle genügen um zu zeigen, dass die Bedrohung
durch den islamistischen Terror nicht an uns vorbeigeht. Die
Bundesrepublik ist keinesfalls nur ein Ruhe- und Rückzugsraum für
militante Islamisten. Trotz der deutschen Haltung zum Irakkrieg sind
Deutschland und deutsche Einrichtungen im Ausland potenzielle
Anschlagsziele, weil die Bundeswehr besonders in Afghanistan den von
den USA geführten Kampf gegen den Terror unterstützt. Im Juni 2003
sind in Kabul vier Bundeswehrsoldaten bei einem Anschlag getötet
worden. Außerdem hat Al Qaida Deutschland mehrmals gedroht. Im April
dieses Jahres hat Osama bin Laden in einer Tonbandbotschaft – die
unter anderem auch ins Deutsche übersetzt wurde – ultimativ den
Rückzug der westlichen Truppen aus den muslimischen Ländern
gefordert. Wir nehmen das sehr ernst.
Am 11. März haben non-aligned Mudschahedin, Kämpfer ohne direkte
Verbindung zu Al Qaida, schwere Anschläge in Madrid verübt. Die Täter
wollten Spanien aus der Teilnahme am Irakkrieg herausbomben – und
hatten Erfolg. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis Terroristen
versuchen, Deutschland wegen des Engagements in Afghanistan unter
Druck zu setzen?
Madrid hat deutlich gemacht, dass so genannte non-aligned
Mudschahedin Anschläge professioneller planen und ausführen können,
als ihnen bis dahin zugetraut worden war. Mit solchen Leuten haben
wir es in Deutschland vorrangig zu tun. Im Übrigen möchte ich darauf
hinweisen, dass es hier in der Vergangenheit gelang,
Anschlagsplanungen aufzudecken und somit Attentate zu verhindern.
Vermutlich Dutzende Islamisten sind aus Deutschland in Richtung
Irak gereist, um sich dem Kleinkrieg gegen die Amerikaner
anzuschließen. Kommen bereits die ersten Söldner mit Kampferfahrung
zurück?
Es gibt bislang nur Einzelfälle. Aber wir machen uns Sorgen, weil
Leute mit Kampferfahrung Kristallisationspunkt gewaltbereiter
Gruppierungen sein können. Das ist wie mit den Islamisten, die in
Afghanistan ein Training bei Al Qaida absolviert haben. Sie genießen
in den militanten Milieus ein besonderes Ansehen, sie können junge
Leute ansprechen und für den Dschihad begeistern. Deshalb sind wir
hier sehr wachsam, und es ist gut, dass das neue Zuwanderungsgesetz
hier auch die Möglichkeit der Ausweisung verschärft hat.
Gibt es Hinweise, dass Al Qaida für den bevorstehenden dritten
Jahrestag des 11. September etwas plant?
Nein. Die Erfahrungen hinsichtlich des Zeitpunkts von Anschlägen
zeigen, dass die Terroristen sich nicht an solchen Jahrestagen
orientieren, sondern handeln, wenn die Vorbereitungen abgeschlossen
sind und die Gelegenheit günstig erscheint. Es ist unmöglich,
Anschlagszeitpunkte einzugrenzen oder gar vorherzubestimmen.
Droht ein weiterer Mega-Anschlag, womöglich noch härter als der
des 11. September?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat keine Hinweise darauf,
dass Terroristen einen Anschlag vergleichbar mit dem des 11.
September planen. Die Gefahr, dass weitere, auch große Anschläge
vorbereitet werden, ist allerdings groß.
Können Sie sich vorstellen, dass die Terrorgefahr in absehbarer
Zeit abnimmt?
Nein. Ein Nachlassen ist nicht in Sicht. Die Bedrohung durch den
islamistischen Terror wird noch lange Zeit anhalten.
Das Interview führten Frank Jansen und Stephanie Nannen.
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
Email: thomas.wurster@tagesspiegel.de

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