Weser-Kurier: Zum Thema Volksentscheide schreibt der "Weser-Kurier" in seiner Ausgabe vom 26. Juni 2012:
Bremen (ots)
Sie haben alles richtig gemacht, die Mütter und Väter des Grundgesetzes. Das ist eine beachtliche Leistung: Nach der Nazi-Diktatur bekamen die Deutschen ihr Rückgrat wieder und eine der stabilsten Demokratien der Welt. Womit die Eltern der Verfassung aber nicht rechnen konnten: Dass Europa irgendwann nach und nach zu einer Einheit verschmelzen könnte - freiwillig, wohlgemerkt. Und dass ein großer Teil der Deutschen, satt von Wohlstand und Frieden, aus freien Stücken auf sein Wahlrecht verzichten könnte. Undenkbar für Frauen und Männer, die in einer Diktatur leben mussten. Im Kern hat das Grundgesetz bis heute Bestand. Niemand würde es wagen, an den Grundfesten zu rühren. Aber jenseits davon muss auch die Verfassung mit der Zeit gehen und an die Realitäten angepasst werden. Zu diesen Realitäten gehört, dass sich das Parlament von den Bürgern entfernt hat, die Bürger vom Parlament und die Regierung ganz offensichtlich von beiden. Es ist schon skandalös, dass sich der Bundestag mehr Mitsprache für die Beschlüsse zum Fiskalpakt und zum Euro-Rettungsschirm erstreiten musste und nun darum ringt, dass ein Ja nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gültig ist. Bei einer so schicksalhaften Entscheidung würde sich die Bundesregierung schlimmstenfalls damit zufriedengeben, dass sie von der einfachen Mehrheit der Abgeordneten mitgetragen wird - wie die Zustimmung zur Verpackungsverordnung. Selbst wenn Vater Staat und Mutter Merkel nur das Beste für ihre Bürger-Schar wollen - es wäre fairer, die Schar direkt zu befragen. Sie muss alle Risiken mittragen und die Steuern erwirtschaften, um die Schulden zu tilgen. Jahrzehntelang. Ein Volksentscheid wäre auch klüger. Denn damit müssten die Bürger gefälligst Verantwortung übernehmen: Wer direkt gefragt wird, kann nicht so leicht auf "die da oben" zeigen, die an allem schuld sein sollen. Nicht zuletzt Stuttgart 21 zeigt, dass es vielen Menschen leichter fällt, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren, selbst wenn sie selbst anders entschieden hätten. Sie wollen wenigstens gefragt werden. Obwohl sie Laien sind. Politiker, die bezweifeln, dass derart weitreichende Entscheidungen von mehreren Millionen Laien getroffen werden dürfen, sollten sich zuerst an die eigene Nase fassen: Auch sie wurden von diesen Laien gewählt. <QM>
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