Lausitzer Rundschau: Diskussion um Strittmatters NS-Vergangenheit Das unerträgliche Schweigen
Cottbus (ots)
Was bislang über die Kriegserlebnisse Erwin Strittmatters bekannt ist, lässt nicht den Schluss zu, dass der Lausitzer Schriftsteller selbst sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat. Aber das, was dankenswerter Weise der Literaturwissenschaftler Werner Liersch recherchiert und veröffentlicht hat, zwingt zu der traurigen Feststellung, dass Strittmatter über Jahre hinweg einer Truppe angehörte, deren direkte Beteiligung am Völkermord und anderen schwersten Kriegsverbrechen unstrittig ist. Hinter der auf den ersten Blick so harmlosen Bezeichnung Ordnungspolizei verbargen sich die Truppen, die das eroberte, besetzte Europa zu "säubern" hatten von den Menschen, die die nationalsozialistische Herrschafts- und Rassenideologie als Bedrohung ansah. Das ganze Ausmaß dieser Ungeheuerlichkeit ist bis heute nicht hinreichend bekannt und erforscht. Die Männer, diese "ganz normalen Männer", die der amerikanische Historiker Christopher Browning in dem wegweisenden Buch über das Polizeibataillon 101 beschreibt, waren zumeist nicht überzeugte Nazis. Und doch haben sie Kindern in die Augen gesehen, bevor sie diese erschossen. Die erhaltenen Berichte darüber zu lesen, ist eine schreckliche Qual - zumal, wenn man weiß, dass viele, erfreulich viele aus solchen Einheiten nicht mitmachten. Sie wurden übrigens so gut wie nie bestraft, weil selbst Nazi-Deutschland den Kindermord verschweigen musste. Wir sind es gewohnt, die Todesfabrik Auschwitz als schrecklichsten Ausdruck der Verbrechen in deutschem Namen, als wohl für alle Zeiten geltende Mahnung zu sehen. Aber Auschwitz soll und kann nicht vergessen machen, dass das Grauen, dem die besetzten Völker Europas begegneten, die Mittäterschaft von Hunderttausenden und das Mitwissen von Millionen von Männern in deutscher Uniform voraussetzte. Zu diesen Mitwissern von Verbrechen zählte aus meiner Sicht mit hinreichender Sicherheit Erwin Strittmatter. Denn die Kriegsgeschichte seiner Einheit ist übervoll von mörderischen Einsätzen gegen die Zivilbevölkerung. Dass er zugesehen, zugehört hat, kann man ihm nicht zum strafrechtlichen Vorwurf machen. Dass er jahrzehntelang darüber geschwiegen hat, ist kein Verbrechen. Aber es macht ihn zu einer tragischen Figur, zu einem Gezeichneten, zu einem Schuldigen im Schweigen. Denn wer wusste und nicht redete, der versagte nicht nur den Opfern den Respekt. Er verweigerte den Unwissenden auch die nötige Hilfe beim Verstehen dessen, was so schwer verständlich ist. Wir müssen heute davon ausgehen, dass Strittmatter sich dem entzog, was Pflicht eines Menschen ist, der öffentliche Ehrung verdient. Und deswegen ist Spremberg gut beraten, sich kundig zu machen über die Geschichte des SS-Polizei-Regiments, in dem Strittmatter lebte und über das er traurigerweise bis zu seinem Ende schwieg - und die Schlussfolgerungen zu ziehen aus solch unerträglichem Schweigen.
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