Lausitzer Rundschau: Zu: Bundesverfassungsgericht urteilt über Neuwahlen
Cottbus (ots)
In Karlsruhe wird heute ein Stück bundesdeutscher Geschichte geschrieben. Die höchste juristische Instanz der Republik verhandelt über einen Streit, der an politischer Brisanz kaum zu überbieten ist: War die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers am 1. Juli rechtens und damit verfassungskonform? Oder handelte es sich bei diesem spektakulären Schritt um einen unzulässigen Akt, der die offenkundige Not der rot-grünen Bundesregierung in eine Bahn mit Befreiungscharakter lenken sollte? Die roten Roben sind dabei nicht zu beneiden, denn jede Entscheidung jenseits der Zustimmung zur Neuwahl würde ein politisches Erdbeben auslösen. Wie Bundeskanzler Gerhard Schröder ist auch das Staatsoberhaupt Horst Köhler davon überzeugt, dass die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Auflösung des Bundestages gegeben sind. Als Begründung wird angeführt, die Bundesregierung könne sich nicht mehr auf eine verlässliche, handlungsfähige Mehrheit im Bundestag verlassen, was angesichts der enormen Probleme und Herausforderungen, vor denen das Land stehe, nicht zu verantworten sei. Diese Argumentation ist dann schlüssig, wenn die Prämisse zutrifft. Soll heißen: Ist Schröders Mehrheit verlässlich oder nicht? Die Antwort klingt ebenso simpel wie unbefriedigend: Das lässt sich schlicht nicht sagen, weil der Beweis dafür in der Zunkunft liegt. Also tritt an Stelle der Klarheit und Wahrheit die Krücke der Vermutung: Auf Grund tatsächlicher oder vermeintlicher Illoyalitäten möglicher Abweichler aus dem linken Spektrum könnte die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung beeinträchtigt sein. Dass nun ausgerechnet die Linken in der SPD, die Schröders Reformpolitik zuvor ungeniert kritisiert und den Agenda-Gesetzen dennoch zugestimmt haben, dem Kanzler über die Medien nette Vertrauensgrüße sandten, gehört zu den Irritationen einer politischen Groteske, bei der diejenigen, die Schröders Politik unterstützen, ihm das Misstrauen aussprechen mussten. Einige kleinere Parteien und die beiden Abgeordneten Jelena Hoffmann (SPD) und Werner Schulz (Grüne) wollen diese Farce indes nicht akzeptieren, was zu den Klagen in Karlsruhe geführt hat. Dabei ist interessant, dass ihre Auffassung von renommierten Juristen geteilt wird: Die Staatsrechtler Hans- Peter Schneider und Wolf-Rüdiger Schenke bestreiten wie der ehemalige BVG-Präsident Ernst Benda die Rechtmäßigkeit des Unterfangens. Dass Köhler nach eingehender Prüfung gleichwohl im Sinne Schröders Neuwahlen angesetzt hat, erschwert die Entscheidung des Gerichts zusätzlich. Denn ein Beschluss, der dieses Diktum für nichtig erklärte, würde die Reputation des Präsidenten aufs Schwerste beschädigen. Ja, er würde Köhler vor aller Welt blamieren.
ots-Originaltext: Lausitzer Rundschau
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