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Berliner Morgenpost: Achtsamkeit ist die beste Prävention - Kommentar

Berlin (ots)

An diese Sätze wird man sich wohl erinnern, wenn
man einmal zurück denkt an die Trauerfeier von Winnenden. Zum einen: 
"Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir", der 130. Psalm, eingangs zu 
hören in der Vertonung von Johann Sebastian Bach. Zum andern, in der 
Rede des Bundespräsidenten: "Wir brauchen den Trost, das Schweigen, 
das Zuhören und das Einfach-nur-Dasein unserer Mitmenschen. Wirklich 
wichtig ist, dass wir uns umeinander kümmern, dass wir uns 
gegenseitig annehmen und dass wir füreinander da sind."
In der Fernsehübertragung wurde vor dem Gottesdienst irgendein 
Fachmann vom Moderator gefragt, ob denn eine Trauerfeier den Schmerz 
heilen und das Unglück überwinden könne. Das war erst einmal eine 
deplatzierte Frage. Denn die Trauer trägt ihren Sinn in sich selbst, 
sie hat keinen "Zweck". Vielmehr müssen wir uns unserer Gemeinschaft 
vergewissern und der Hinterbliebenen annehmen. In auffällig stiller 
Weise ist dies am Sonnabend geschehen.
Gerade das Stille, Zurückgenommene dabei ist ein Zeichen für eine 
gewisse Reife beim Umgang mit derart schrecklichen Morden. Vor sieben
Jahren, nach Erfurt, war das noch anders. Zwar war auch da die 
Trauerfeier, auf dem Domplatz, wahrlich ergreifend, aber drum herum 
toste ein Orkan der Erklärungen, Interpretationen und Forderungen. 
Sie konzentrierten sich seltsam einseitig auf den Täter. Man meinte, 
seine Psyche sofort verstanden zu haben - Computerspiele, 
Schulverweis, Waffen, Vereinsamung - und leitete daraus Konzepte und 
Gesetzesvorschläge ab. Für die Opfer in ihrer stockenden, oft 
schweigenden Ratlosigkeit war wenig Raum.
Mittlerweile sind die Gesellschaft und ihre Öffentlichkeit klüger 
geworden, weil sie zugeben können, so schnell nicht klug zu werden 
aus der Tat. Wir machen uns die Komplexität des Verbrechens und 
gerade auch seiner möglichen Ursachen besser bewusst, wenn wir die 
Tat und ihre Hintergründe nicht mehr auf einfache Thesen reduzieren. 
Zudem ist es ein Zeichen von Anstand gegenüber den Opfern, wenn man 
sie nach ihren entsetzlichen Erlebnissen nicht noch dadurch demütigt,
dass man sie mit täterfixierter Küchenpsychologie für das Geschehene 
verantwortlich macht. Denn das geschieht ja, wenn der Täter als 
Produkt seiner Umwelt beschrieben wird, als trage sie die Schuld an 
dem, was ihr widerfuhr.
Dass man gleichwohl alles tun muss, um solche Taten künftig zu 
verhüten - wozu natürlich auch das Nachdenken über die seelischen und
sozialen Verstörungen möglicher Täter gehört - das versteht sich von 
selbst. Doch einige Aussicht auf Erfolg kann das nur haben, wenn es 
ausgeht von jener Kultur der Anteilnahme und Aufmerksamkeit gegenüber
den Opfern, die in dieser Trauerfeier erahnbar wurde. So wie jetzt 
auf die Opfer eingegangen wurde, so hat man sich künftig etwa auf 
junge Menschen einzulassen - achtsam und besorgt. Insofern kann so 
eine Trauerfeier tatsächlich etwas zur Überwindung des Unglücks 
beitragen: Sie steht für einen Umgang miteinander, der wohl die beste
Gewaltprävention ist.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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