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Berliner Morgenpost: Jamaika rückt nun auch näher an Berlin - Leitartikel

Berlin (ots)

Nun ist auch diese Koalitionsoption nicht länger
bloße politische Spielerei, sondern Realität. Im Saarland ist eine 
Dreierkoalition aus CDU, FDP und Grünen geschmiedet worden. Mit 
diesem schwarz-gelb-grünen Bündnis, nach den Nationalfarben des 
Inselstaats auch Jamaika-Koalition tituliert, wird das Denken und 
Taktieren in den hergebrachten politischen Lagern weiter aufgeweicht.
Fast alles scheint fortan möglich. Allein zwischen CDU und CSU 
einerseits, Linkspartei andererseits türmen sich in den Ländern wie 
im Bund unüberwindbare Blockaden auf. Diese neue Beweglichkeit ist in
erster Linie dem Fünfparteiensystem geschuldet, das sich im Gefolge 
der Wiedervereinigung mit der Linkspartei in Deutschland wohl 
endgültig etabliert hat.
Eine neue parteipolitische Statik, die ihre Vorzüge, aber auch 
gravierende Nachteile hat.
Zu den Vorteilen zählt zweifellos, dass schroffe politische 
Gegensätze im Lande geschliffen werden und damit neue Politikansätze 
eine Chance bekommen. Als Katalysator für solch neue Entwicklungen 
erweisen sich derzeit insbesondere die Grünen. Im Saarland stellen 
sie gerade die gesamte bisherige Energiepolitik auf den Kopf und mit 
einem bisherigen Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und 
Wissenschaft als neuem Bildungsminister wohl gleich auch noch die 
Bildungspolitik. Vergleichbares ist den Grünen bereits in ihrem 
ersten Zweierbündnis mit der CDU in Hamburg gelungen. Und in Berlin 
lässt Parteivize Thomas Heilmann gerade neue, liberale Töne in der 
Integrationspolitik hören. Um an der Macht zu bleiben oder sie zu 
erringen, legen die noch größeren Parteien CDU und SPD immer häufiger
eine erstaunliche Flexibilität an den Tag. Sie haben keine andere 
Wahl, solange sie der Wähler zum derzeitigen Schrumpfungsprozess 
verurteilt.
Zum Nachteil der neuen Offenheit gerät dagegen, dass der Bürger immer
weniger weiß, für welche Politik sich die von ihm bevorzugte Partei 
nach der Wahl entscheidet. Diese Ungewissheit bis hin zur 
Enttäuschung lockert die ohnehin schwächer gewordene Bindungskraft 
vor allem der großen Parteien weiter und führt schlechtestenfalls zu 
künftiger Wahlverweigerung. Deshalb muss es inhaltliche Grenzen 
geben, müssen ein paar Grundüberzeugungen gewahrt werden, ohne die 
jede Partei ihren politischen Anspruch und damit ihre Glaubwürdigkeit
verspielen würde. Solche Grundsatztreue wird in einem 
Fünfparteiensystem allerdings zu einer Gratwanderung.
Dabei mausern sich die Grünen wie jetzt wieder im Saarland zum 
wichtigen Mehrheitsbeschaffer. Was die CDU erfreut, macht der SPD 
größte Sorge. Vorbei die Zeit, da die Grünen allein mit ihr konnten 
und wollten. Auch in Berlin ist nichts mehr ausgeschlossen. Jamaika 
liegt hier - Umfragen signalisieren es - näher, als es der Regierende
Bürgermeister wahrhaben will. Und was im Land getestet wird, bricht 
sich politisch irgendwann Bahn, auch im Bund. Die neue 
schwarz-gelb-grüne Liebelei an der Saar könnte Klaus Wowereit nicht 
allein im Roten Rathaus, sondern auch bei seinen Kanzlerambitionen 
gefährlich werden.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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