Berliner Morgenpost: Auf dem Weg zum gläsernen Arbeitnehmer - Leitartikel
Berlin (ots)
Seit Jahren schlummerte "Elena" im Dunkeln. Jetzt, da der niedlich verharmlosende Name ans Licht kommt, sorgt er für helle Aufregung. Zu Recht. Denn "Elena", der "Elektronische Entgeltnachweis", steckt voller Tücken. Wie so oft, wenn Ministerialbürokraten eine an sich gute Absicht in Paragrafen umsetzen, wird auch im Fall "Elena" weit über das Ziel hinausgeschossen. Seit Januar 2010 müssen Deutschlands rund 3,2 Millionen Arbeitgeber monatlich Datensätze über Einkommen und Beschäftigung ihrer etwa 40 Millionen Arbeitnehmer an eine zentrale Speicherstelle bei der Deutschen Rentenversicherung schicken. Die eigentlich gute Absicht dahinter: Mittels dieser Zentraldatei soll die Kontrolle bei der Beantragung von Sozialleistungen verbessert und damit Geld gespart, außerdem mit zeitgemäßer Technik Bürokratie bekämpft werden. Aber gut gemeint ist bekanntlich noch lange nicht gut getan. Erst jetzt wird wirklich öffentlich, was die Arbeitgeber über jeden Beschäftigten zu melden haben. Neben Gehalt, Art und Dauer der Beschäftigung auch so sensible Interna wie Fehlzeiten der Arbeitnehmer, sogar die Beteiligung an Streiks sollte ursprünglich gespeichert werden. Damit ist der gläserne Arbeitnehmer programmiert. In diesem Fall ist es der Staat selbst, der den Datenschutz, den er bei so vielen anderen Gelegenheiten bis ins Absurde hochhält, tief untergräbt. Eine solche zentral mit berufsbezogenen Detailangaben gefütterte Datei weckt zwangsläufig früher oder später Begehrlichkeiten. Da mögen die Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch noch so ausgetüftelt sein - zu umgehen oder zu knacken sind sie letztlich fast alle. Da haben sich Bürokraten ein Monster erdacht, um sich die Bürokratie (konkret das Abfragen von Daten vor der Vergabe von Sozialleistungen) zu erleichtern. Das ist schwer akzeptabel angesichts des tiefen Einblicks in die Persönlichkeit jedes Arbeitnehmers. Selbst der Anspruch, mit "Elena" der Bürokratie ein Schnippchen zu schlagen, trägt nicht. Viele Arbeitgeber, vor allem kleinerer Betriebe, müssen mit noch mehr Bürokratie rechnen. Hatten sie bisher nur im Einzelfall per Papierform Auskunft über einen Beschäftigten zu geben, wenn dieser Sozialleistungen wie Wohn-, Eltern- oder Arbeitslosengeld beantragte, sind fortan monatlich die Daten der gesamten Belegschaft elektronisch zu übermitteln. Das bedeutet mehr und nicht weniger Arbeitsaufwand für die Bequemlichkeit der Staatsbürokratie. Auch im zuständigen Bundesarbeitsministerium scheinen die Zweifel an dem 40 Seiten füllenden Meldekatalog zu wachsen. Ein Sprecher des Ministeriums von Ursula von der Leyen räumte gestern ein, man werde prüfen, "ob das alles Sinn macht". Eine erste Konsequenz muss zumindest die radikale Straffung des Meldekatalogs sein. Die zweite, längerfristige und seit Jahren überfällige: Bündelung und Vereinfachung der Sozialgesetze samt Minimierung der vorzulegenden Nachweise. Das wäre ein wahrer Dienst gegen die Bürokratie und für die Transparenz aller sozialen Wohltaten.
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