Berliner Morgenpost: Apokalypse im Land der verlorenen Hoffnung
Berlin (ots)
Nun stehen wir wieder da, erschüttert, hilflos, spendenbereit. Und stellen uns einmal mehr die Frage, warum so etwas ausgerechnet dort passieren muss, wo es vielerorts ohnehin schon so furchtbar elend zugeht, dass man eigentlich täglich eine Aktion "Rettet Haiti" ins Leben rufen müsste, auch wenn die Erde gerade nicht gebebt hat. Tragödien, Tag für Tag, die man sich gar nicht vorzustellen vermag hierzulande. Kinder, die verhungern, weinende Mütter, Väter. Verzweiflung, die Menschen schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein fürs tägliche Brot. Schießereien, Plünderungen, schlichteste Gewalt, das volle Programm der Hoffnungslosigkeit. Wenn es in den vergangenen Jahren einen Ansatz von Ordnung gegeben hat auf diesem Teil der einst von Columbus entdeckten Insel Hispaniola, dann ist er den Blauhelmen zu verdanken, die dort Dienst tun. Die eigenen Leute, die eigenen Politiker haben es nicht hingekriegt, nicht die alten Diktatoren Marke "Papa Doc" Duvalier, nicht die Helden der armen Leute wie Jean-Bertrand Aristide noch dessen Nachfolger Rene Préval, der einem Land vorsteht, dessen äußerer Zustand seit vorgestern früh seiner inneren Verfassung gleicht. Man muss kein Prophet sein, dass dieses Elend, diese Hilflosigkeit, diese Verzweiflung noch auf Jahrzehnte das Bild Haitis prägen wird. Auf die eigenen Beine kommt dieses Land zu Lebzeiten der Überlebenden des Jahrhundertbebens nicht mehr. Die internationale Gemeinschaft, die UN, Frankreich, der alte Kolonialherr, der sich nicht mehr ganz so gern erinnert an seine Beziehungen in die Karibik, und natürlich auch die USA, sie alle stehen wieder einmal in der Pflicht, auf Dauer, keine Frage. Die postwendende Ankündigung Präsident Obamas, Haiti massiv zu helfen, hat ebenso postwendend wie absehbar die Mahner und Warner auf den Plan gerufen, die vor möglichem imperialem Gehabe der USA warnen. Aber in Wahrheit ist die Hilfe der Amerikaner, der unangefochtenen Hegemonialmacht der Region, in dieser apokalyptischen Situation alternativlos. Alles andere wäre menschenverachtend, menschenunwürdig, unverantwortbar. Und wir, hier bei uns? Wenn der Eindruck nicht täuscht, hat das Aufeinandertreffen von Naturkatastrophe und erbärmlicher Armut auf Haiti in Deutschland großes Mitleid und in der Folge eine ebenso große Hilfsbereitschaft ausgelöst. Diese Fähigkeit zu Empathie, zu echtem Mitgefühl mit Menschen, die in weit entfernten Gegenden leiden müssen, ist in den vergangenen Jahren ein Markenzeichen unserer Gesellschaft geworden. Das mag zum einen zusammenhängen mit unseren eigenen Erfahrungen, mit der Not und den Trümmern unserer Geschichte. Es ist zum anderen aber auch Ausdruck eines gewachsenen Verantwortungsgefühls der Deutschen, das über unsere Grenzen hinausreicht. Wir haben, vielleicht ein wenig zögerlich, gelernt, dass das Elend in anderen Regionen des Erdballs am Ende eben auch uns etwas angeht und, wenn es schlecht kommt, auch auf uns zurückfällt.
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