Berliner Morgenpost: Köhlers Zwang zum Unbequemen - Leitartikel
Berlin (ots)
Zurzeit gehen die Einladungen raus zum bedeutendsten Sommerfest der Berliner Republik. Der Bundespräsident und seine Gattin Eva Luise laden Anfang Juli zum Sommerfest in den Garten vom Schloss Bellevue. Ein Hauch von Ascot weht zwischen Tabletts voller Schaumwein und bemerkenswert gutem Musikprogramm. Horst Köhler schreitet und guckt und plaudert wie ein guter Onkel umher. Und hinterher freuen sich alle über den Regenschirm mit Präsidenten-Logo, eine der begehrtesten Trophäen der Hauptstadt. Dieses Jahr allerdings dürfte ein wenig mehr und respektloser getuschelt werden hinter dem Rücken des Staatsoberhaupts. Denn Köhler hat zuletzt überzogen mit seinen Stellungnahmen, die bisweilen einer mathematischen Formel zu folgen schienen: Zu welchem Aufregerthema lässt sich maximal Volksnahes sagen? Dabei gelangen dem Präsidenten nicht nur intellektuelle Höhenflüge: Sind allein Spekulanten Verursacher von Griechenlands Krise? Oder gingen der Zinsjagd nicht ein paar reale Versäumnisse voraus? Sind nur die Finanzmärkte Monstren oder auch die Anleger mit ihrer Renditejagd? Muss der Präsident sich wirklich zu Spritpreisen oder einer durch die Tagespolitik taumelnden Koalition äußern? Wann kommentiert Köhler Löws Aufstellung, die Causa Kachelmann oder "Germany's next Topmodel"? Zuletzt stellte Köhler fest, dass Parteien, Parlamente und Regierungen an Ansehen verloren haben - ein zu simpler Siegpunkt. Derlei Immerstimmer sind Wirtschaftsminister Brüderle vorbehalten, dem Rekordhalter im Produzieren von Öffentlichkeitsmüll. Nickt das ganze Volk zustimmend, liegt der Verdacht nahe, der "unbequeme Präsident", der er sein will, habe es sich inmitten des Mainstreams bequem gemacht. Ist es nicht viel eher Pflicht des Staatsoberhaupts, auch mal gegen den Strom zu arbeiten? Andererseits hat es Köhler so schwer wie kaum einer seiner Vorgänger. Wie schon Johannes Rau leidet er am Weizsäcker-Herzog-Trauma. Der eine hielt eine global beachtete Rede zum Kriegsende, der andere inszenierte mit gutem Gespür für die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt seine legendäre Ruckrede. Bei Köhler kommt das Instrumentalisierungs-Trauma hinzu. Bereits 2005 erklärte Guido Westerwelle, wie brillant er und Angela Merkel es angestellt hatten, Köhler ins Amt zu hieven. Deutlicher als je zuvor wurden damals das Amt und sein Inhaber desavouiert. Die Botschaft lautete: Von wegen Wahl, von wegen Staatsoberhaupt - zwei Parteichefs haben undemokratisch entschieden und quasi eine Marionette installiert. Ausgerechnet Josef Ackermann führt dem Bundespräsidenten nun auch noch vor, wie Relevanz geht. Mit seinen Einlassungen zur Euro-Krise bekam der Chef der Deutschen Bank, wonach Köhler vergeblich dürstet: Aufmerksamkeit, Debatte, bisweilen sogar Respekt für schonungslose Offenheit. Vor allem hat Ackermann dem Präsidenten eines voraus: Er ist wirklich unbequem.
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