BERLINER MORGENPOST: Kommentar zur Suche nach einem Nachfolge für Horst Köhler
Berlin (ots)
Immer wieder sind sie herbei gewünscht worden, die Seiteneinsteiger in den deutschen Politikbetrieb. Damit sie den Laden aufmischen, frischen Wind in die Hinterstuben der Macht bringen, in denen Ritualen gleich gekungelt und gemauschelt wird. Erfahrung von außen, neue Ideen, ein bisschen mehr Unabhängigkeit und damit Freiheit im Denken als reine Parteikarrieristen - so die mit Seiteneinsteigern verbundene Hoffnung, um dem zunehmend misstrauisch beobachteten Politikgeschäft wieder zu mehr Ansehen zu verhelfen. Wie tief auch hier der Graben zwischen Theorie und Praxis ist, haben die letzten beiden Kanzler und nun auch die Kanzlerin bitter erfahren müssen. Helmut Kohl erlebte sein personalpolitisches Waterloo mit seinem ersten Kanzleramtsminister Waldemar Schreckenberger, einem vorzüglichen Verwaltungsjuristen, aber Chaoten in der politischen Machtzentrale. Gerhard Schröder wollte mit dem Unternehmer Jost Stollmann neue wirtschaftspolitische Kompetenz ins erste rot-grüne Kabinett bringen. Doch der Parteilose, der inhaltlich die Agenda 2010 vorwegnehmen wollte, resignierte schon vor Amtsantritt, nachdem ihm die Grenzen seines Handels aufgezeigt worden waren. Jetzt hat Angela Merkel erfahren, wie riskant es ist, hohe politische Ämter "fremd" zu besetzen. Anders als in Amerika und Frankreich zeigt sich der Politikbetrieb in Deutschland als closed shop. Eine schlechte, ja gefährliche Entwicklung. Ohne Auffrischung und Belebung von Außen entfernen sich Parteien und damit Politik insgesamt zunehmend von den Realitäten des Lebens. Seiteneinsteiger müssten also prinzipiell nicht nur freudig begrüßt, sondern auch schützend begleitet werden. Letzteres hat allerdings seine Grenzen, weil Seiteneinsteiger auch bestimmte Verpflichtungen übernehmen. Sie können nicht völlig losgelöst von denen agieren, die sie auserkoren haben. Und sie müssen sich dem politischen Diskurs stellen; auch wenn der unbequem ist. Horst Köhler ist an beidem gescheitert. Sein Amtsverständnis hatte sich allzu weit entfernt von dem, was seine Erfinder von ihm erwartet hatten. Letztere waren deshalb nicht willens, für ihn in die Bresche zu springen. So wünschenswert Quereinsteiger für die Politik bleiben, das Beispiel Köhler dürfte potenzielle Nachahmer kaum noch animieren. Politprofis behalten in Deutschland das Sagen. Künftig vielleicht sogar mit Ursula von der Leyen als erster Frau im höchsten Staatsamt.
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