BERLINER MORGENPOST: Entwarnung für alarmierte Eltern - Leitartikel
Berlin (ots)
Sie treiben sich auf der Straße rum und ziehen andere Kinder ab. Sie knacken, gerade mal zwölf Jahre alt, ihr erstes Auto. Sie prügeln sich und verkaufen Drogen. Sie dröhnen sich mit Alcopops zu, daddeln den ganzen Tag am Computer oder denken nur an Klamotten, Sex und Partys. Die Schule ist ihnen egal und was die Erwachsenen sagen, sowieso. Ausbildung, Arbeit: wozu? Es gibt doch Hartz IV. So denken und handeln die Kinder und Jugendlichen von heute - glaubt man den täglichen Meldungen in den Medien, zweifelhaften Jugendreports und reißerischen TV-Doku-Soaps. All das sind herrlich alarmierende Vorlagen für Vorträge über die Verkommenheit der "Jugend von heute". Und es ist der Stoff, aus dem Eltern-Albträume sind. Wer kann, verfrachtet seine Kinder in eine Privatschule und verplant die Freizeit des Nachwuchses mit kostspieligen Aktivitäten, um ihn vor schlechten Einflüssen zu schützen. Doch die Jugend ist offenbar besser als ihr Ruf. Die negativen Nachrichten bilden nur - zugegeben schlimme und bekämpfenswerte - Randerscheinungen ab. Dies legt zumindest die neue Shell-Jugendstudie nahe, die ein ganz anderes, hoffnungsvolles Bild der jungen Generation zeichnet. Mehr als 2500 Heranwachsende zwischen zwölf und 25 Jahren wurden befragt, und diese geben sich in der Mehrheit optimistisch, engagiert, leistungsbereit, werteorientiert und - man höre und staune - der Familie eng verbunden. Nicht nur, dass sich fast 70 Prozent der Jugendlichen eigene Kinder wünschen. Zudem bezeichnen neun von zehn Jugendlichen ihr Verhältnis zu den eigenen Eltern als gut. Und fast drei Viertel aller Jugendlichen würden ihre eigenen Kinder so erziehen, wie sie es selbst erlebt haben. Ob man von den älteren Semestern, die gern mit Blick auf die Jugend den Untergang des Abendlandes beschwören, in den eigenen Flegeljahren jemals ein solches Bekenntnis gehört hätte? Daran zweifeln darf man allemal. Denn irgendwie gehört das alles ja zum Erwachsenwerden dazu: die Opposition gegen die "Alten", das Ausloten von Grenzen, das Über-die-Stränge-Schlagen und die Leistungsverweigerung. Und auch die, die es schamlos übertrieben haben, hat es immer schon gegeben. Die neue Erhebung stimmt froh. Aber warum braucht es immer wieder solche Studien, um den Blick zurechtzurücken? Denn man könnte das Positive auch im Alltag entdecken: die Schüler, die in ihrer Freizeit Müll sammeln, die Kinder, die andere Kinder bei Streitigkeiten und den Hausaufgaben unterstützen, die Jugendlichen, die nach der Uni einsame Senioren im Altenheim besuchen. Wer mehr davon will, sollte selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Schließlich sind Kinder und Jugendliche genauso Lemminge wie Erwachsene: Sie orientieren sich am Verhalten der anderen. Und je gebildeter und privilegierter sie sind, desto zufriedener und aktiver sind sie. Auch das ist ein Fazit der Shell-Studie, das kaum überrascht - aber zum Handeln anregen sollte.
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